Werner Lehmann

Bochum, Deutschland
gestorben: 
21. сентября 1941 Berlin
Beruf: 
Heizer

Lehmann , Werner: (22.5. 1904 – 1941), Seemann

Werner L. war Mitglied der KPD und des Antifaschistischen Kampfbundes. Im April 1933 ging er nach Antwerpen und fuhr von dort aus auf deutschen Schiffen zur See. Werner Lehmann desertierte 1935 von dem deutschen Dampfer „Havenstein“ schloss sich der Aktivgruppe deutscher Seeleute in Antwerpen an, in der sein Bruder Kurt führend tätig war. Die Gruppe trennte sich Anfang 1936 von der KPD und schloß sich der Internationalen Transportarbeiter-Föderation an. Im September 1936 ging Werner mit sechs weiteren Seeleuten, u.a. seinem Bruder Kurt nach Spanien und kämpfte bis Januar in der Internationalen Gruppe der Kolonne Durruti in Spanien. Wegen einer Erkrankung kehrte er zurück nach Antwerpen und fuhr bis 1939 auf englischen und norwegischen Schiffen zur See. Im Sommer 1939 wurde er aus Belgien ausgewiesen und ging zusammen mit seinem Bruder Kurt nach Frankreich. Nach Kriegsausbruch wurden sie in Frankreich den nordafrikanischen Lagern Suzzoni und Berroughia interniert und am 1. Juni 194 der Gestapo ausgeliefert. Werner L. starb am 21. September im Hausgefängnis der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Ob durch Mord oder Selbstmord ist unklar.

Die Brüder Lehmann wurden Von Frankreich zunächst in das Gestapogefängnis nach Karlsruhe gebracht und von dort direkt in die "Zentrale des Terrors", im Hausgefängnis des Reichssicherheitshauptamt in Berlin. "Und am 20. 8. als Kurt und Werner dort in Berlin eingeliefert wurden, da sagte der Kommissar Fuhrmann, zu den beiden Seeleuten. Das wichtigste haben wir, die Kampfgruppe zerschlagen. Ihr habt gut gekämpft., aber nur auf der verkehrten Seite. Die Seeleute dachten, den Erfolg verdankt ihr den Demokratien." Am 21. September starb Werner Lehmann. Ob durch Mord, wo von Kurt Lehmann ausging, oder durch Selbstmord, wie es die Gestapo behauptete, wird nicht mehr festzustellen sein. Beide Varianten sind möglich. Werner Lehmann rechnete realistisch für sich mit einem Todesurteil. Um in der Folter keine Genossen zu verraten, hat er vielleicht den Freitod gewählt. Für die beiden Brüder kam erschwerend hinzu, daß sie von einem Mitgefangener im Gefängnis Karlsruhe denunziert worden waren. Nach dessen Aussagen hatte Kurt Lehmann ihm gegenüber geäußert: "Das ist doch nicht schlimm, was du hast, ich weiß, daß ich den Kopf verliere, aber meine größte Sorge ist, daß ich von der von der Gestapo gezwungen werden kann, weitere etwa 50 Personen zu nennen, die in diese Sabotagesachen mit verwickelt sind."

Persönliche Daten Familienname: Lehmann Vorname: Werner Geschlecht: m Geburtsdatum: 22.5.1904 Geburtsort: Bochum Beruf: Heizer Todesdatum: 15.10.1941 Todesursache: Mord / Suizid Gestapo Adressangaben liegen nicht vor. Angaben zur Mitgliedschaft in Organisationen Organisation Internationale Transportarbeiter-Föderation Angaben zur Verfolgung Beginn Ende Gericht Art Ort Grund 30.06.1934 01.08.1941 Volksgerichtshof Schutzhaft Berlin, Reichssicherheitshauptamt Frankreich Belgien Spanien Politisch / Vorbereitung zum Hochverrat

 

"... Daß wir den Kopf hoch halten, auch wenn er mal abgehauen werden sollte"1 .

 

Wuppertal Seeleute im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

von Dieter Nelles

 

Wilhelmshaven im November 1918:. "Zwei Tage bin ich nun älter geworden und während dieser Zeit hat sich in meinem Innern eine Wandlung vollzogen, die ich für unmöglich gehalten" notierte der Matrose Richard Stumpf in seinem Tagebuch: "Vom Monarchisten zum überzeugten Republikaner -nein mein Herz - ich kenne dich nicht mehr. (...) Unter donnerndem Hurra fiel die riesige Kriegsflagge vom Maste der Kaserne, und das rote Tuch der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stieg auf."2

Die Meuterei der Matrosen der kaiserlichen Kriegsmarine war der Beginn der Novemberevolution. Unter den revoltierenden Matrosen fand sich auch der knapp 18jährige Erich Krewet aus Barmen, der seit 1916 zur See fuhr und erst einige Monate vorher Marinesoldat geworden war. Vermutlich wurde Krewet -wie so viele andere- durch die Matrosenrevolte politisiert. Das Gefühl aus eigener Kraft das verhaßte kaiserliche Regime gestürzt zu haben, gab den Matrosen ein enormes politisches Selbstbewußtsein. Krewet trat 1920 in Barmen in die USPD ein und später in die KPD. Aber er kehrte nur noch selten nach Barmen zurück. Seit 1919 fuhr er zur See und die Hafenstädte der Welt wurden seine Heimat. Krewet arbeitet sich bis zum Bootsmann hoch und wurde gleichzeitig einer der aktivsten kommunistischen Funktionäre in der Seefahrt. Im August 1931 wird er zusammen mit einem chinesischen Genossen als einer der "führenden Persönlichkeiten" des Rotterdamer Interclubs aus den Niederlanden ausgewiesen. Einige Monate zuvor hatte er sich noch in New York aufgehalten.

Die Interclubs (Internationale Klubs der Seeleute) waren seit 1921 von der Kommunistischen Internationale in allen großen Hafenstädten der Welt eingerichtet worden. Eigentliches Ziel der Interclubs war die politische und gewerkschaftliche Organisierung der Seeleute. Aber sie waren auch ein Treffpunkt für Seeleute aller Nationen, eine Alternative zu den Nepplokalen, die gerade in den zwanziger Jahren in vielen Hafenstädten entstanden. Die größten Interclubs in Leningrad und Hamburg hatten über 30 000 Besucher im Jahr. Die Existenz der Interclubs hatte nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß weltweit der kommunistische Einfluß nur bei wenigen Berufsgruppen so stark war wie bei den Seeleuten.

Krewet lebte seit 1931 in Hamburg und war im dortigen Interclub Politischer Leiter der Zelle Schiffahrt der KPD. Diese Zelle umfaßte alle kommunistisch organisierten Seeleute der Hamburger Reedereien mit Ausnahme der HAPAG. Leiter dieser Zelle war Kurt Lehmann aus Barmen.

Auf den ersten Blick erscheint es paradox, daß zwei der wichtigsten KPD-Funktionäre in der Seefahrt aus Wuppertal kamen. Zwar war es keine Massenerscheinung, aber auch in Wuppertal gab es eine Reihe junger Arbeiter, die zur See fuhren. Verschiedenen Gründe spielten dabei eine Rolle. An erster Stelle vermutlich der Wunsch fremde Länder kennenzulernen und romantische Vorstellungen von der Seefahrt, die aber schnell zerstört wurden.

"Man spürte den Kohlenstaub und Scott zwischen den Zähnen, der Schweiß biß in den Augen, er rann nur so am Körper hinunter", erinnerte sich Walter Vesper aus Barmen über seine ersten Erfahrungen als Heizer auf einem Dampfer. "Von einem schachtähnlichen Niedergang sah man mantief unten im rötlichen Widerschein halbnackte menschliche Gestalten. Der Heizraum voller Hitze und Ölgestank, die Unterwelt, eine Hölle im wahrsten Sinne des Wortes (...) Die Feuertüren werden aufgerissen, die weiße Glut, der Feuerschein, frißt auf unserer bloßen Haut...Feuer entschlacken, glühende Schlacke ziehen und gießen, Asche hieven, (...) nach vierstündiger Wühlerei ist die Wache beendet. Der Autor einer Studie über die Arbeitsbedingungen von Heizern und Trimmern auf Dampfschiffen kam zu dem Ergebnis, daß die "Wirklichkeit weitaus unmenschlicher war" als B. Traven sie im Totenschiff beschrieb, von dessen Lektüre er zunächst schockiert gewesen sei.3

Das Leben auf See war nur etwas für robuste Naturen. Kurt Lehmann, der 1906 in Barmen geboren wurde, hatte diese Robustheit. Zwar ist über seine Kindheit und Jugend wenig bekannt. Aber es ist sicher, daß sie hart und entbehrungsreich war. Sein Vater war Bauarbeiter und die achtköpfige Familie lebte "von der Hand in den Mund". Als er 16 Jahre alt war, starb seine Mutter und seit dieser Zeit war er gewohnt, selbst für sein Leben aufzukommen. Bis 1927 schlägt er sich meist auf dem Bau als Hilfsarbeiter durch. Als er wieder arbeitslos wurde, folgt er dem Rat eines Bekannten und fährt nach Antwerpen, um sich dort ein Schiff zu suchen.

Vermutlich wurde Lehmann schon durch sein Elternhaus politisiert. Später wird die Gestapo schreiben: "Er entstammt einer fanatisch kommunistisch eingestellten Familie." Schon als 20jähriger schloß er sich der KPD in Barmen an. Lehmann war wie Krewet nicht nur ein begabter politischer Kopf sondern genoß unter seinen Kollegen hohes Ansehen. Deshalb hatte er schon in jungen Jahren verantwortungsvolle Positionen in der KPD und der 'Roten Marine'. Bei der 'Roten Marine' handelte sich um eine Unterorganisation des kommunistischen Rotfrontkämpferbundes, der vornehmlich Seeleute und Hafenarbeiter angehörten. Die Angehörigen der Roten Marine waren seit 1930 zunehmend in harte Straßenkämpfe mit der SA verwickelt, die teilweise bewaffnet ausgetragen wurden. Bei der SA waren die Männer der 'Roten Marine' gefürchtet und deshalb traf sie nach der Machtergreifung der Nazis deren Repression hart. "Unter denen, die zuerst die Blutgerüste Hitlers bestiegen", schrieb Lehmann, "waren deutsche Seeleute".

 

Im April 1933 wurde Krewet in Hamburg verhaftet und wegen Hochverrats zu 1 Jahr und 9 Monaten Zuchthaus verhaftet. Lehmann hatte nach langer Arbeitslosigkeit im Februar 1933 ein Schiff bekommen und entging somit der ersten Verhaftungswelle. Fortan fuhr er wieder von Antwerpen aus zur See. Im August 1934 verließ er in Dublin sein Schiff, weil er gewarnt worden war, daß in Hamburg die Gestapo auf ihn wartete. Von Irland aus reiste er dann illegal nach Antwerpen.

Dort und in anderen europäischen Hafenstädten hatten kommunistische Seeleute, die aus Deutschland fliehen mußten, sogenannte Aktivgruppen gebildet, um den Kampf gegen die Nazis fortzusetzen. Auf deutschen Schiffen wurden Vertrauensleute angeworben, die illegale Literatur und Briefe mit an Bord nahmen und gefährdete Genossen als blinde Passagiere aus Deutschland herausbrachten.

Da in Antwerpen besonders viele deutsche Schiffe anliefen und deutsche Seeleute lebten, war dieser Hafen für die antifaschistischen Aktivitäten besonders wichtig. Die Antwerpener Aktivgruppe, der Lehmann sich anschloß, umfaßte zwischen sechs und acht Personen. Die Gruppe finanzierte sich durch freiwillige Beiträge der Vertrauensleute. Den zusätzlich benötigten Lebensunterhalt bestritt Lehmann durch Schmuggel und der Vermittlung von blinden Passagieren. Letztere wurden umsonst transportiert, wenn sie politisch verfolgt waren. Die Gruppe traf sich jeden Morgen zu einer politischen Besprechung, um dann einzeln die deutschen Schiffe zu besuchen. Meist zur Mittagszeit, weil sie dann mit der Mannschaft umsonst essen konnten. Sie diskutierten ganz allgemein mit ihren Kollegen. Die ihnen vertrauenswürdig erschienen wurden, abends in eine Seemannskneipe eingeladen, wo dann offen politisch diskutiert wurde. so gewann die Gruppe ihre Vertrauensleute.

"In Antwerpen hatte die Gruppe keine feste Organisation. Es gab keine Leiter, keine Büro­kratie. Wir verkehrten mit den Seeleuten, wie wir es sonst auch taten, nur, daß der Inhalt unserer Arbeit aufgrund der veränderten Situation ein politi­scher war."

Lehmann stand schon in Hamburg teilweise in Opposition zur Parteileitung. "Die Politik der KPD nach der NS-Machtübernahme hielten viele Mitglieder der Partei für unverantwortlich. Der offene Kampf gegen den Nationalsozialismus (...) war vielen angesichts des offenen Terrors unverständlich. Diese Kritik verschärfte sich in Antwerpen, weil er den dortigen Leiter der Seeleutearbeit für unfähig hielt und dieser darüber hinaus ein dogmatischer Verfechter der Parteilinie war. Diese Kritik weitete sich zu einer offenen Opposition gegen die Leitung der KPD aus, als Anfang 1935 Hermann Knüfken von Rotterdam nach Antwerpen kam.

Knüfken hatte unter den revolutionären Seeleuten einen legendären Ruf. Im Ersten Weltkrieg gehörte er zu den revolutionären Gruppen in der deutschen Kriegsmarine. Die Meuterei seiner Kameraden im Oktober 1918, bewahrte ihn vor dem Todesurteil. Lenin nannte ihn "Genosse Pirat, weil er 1920 einen Fischdampfer entführte, um zwei deutsche Delegierte zum Kongreß der Kommunistischen Internationale nach Moskau zu bringen. Deshalb wurde er zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt. Durch mehrere Hungerstreiks erreichte er seine Freilassung in die Sowjetunion. Dort leitete er seit 1923 den Internationalen Klub (Interclub) der Seeleute in Leningrad. Weil er auch gegen die sowjetische Regierung die gewerkschaftlichen Rechte der Seeleute verteidigte, wurde er 1929 von der Geheimpolizei (GPU) verhaftet. Dagegen protestierten Seeleute aus aller Welt und es kam sogar zu einer Demonstration in Leningrad für seine Freilassung. Kurze Zeit später wurde er aus der Haft entlassen. 1932 ging er zurück nach Hamburg und war dort im Interclub aktiv.

Ende 1935 trennte sich die Antwerpener Gruppe um Knüfken und Lehmann von der KPD "Die deutschen Arbeiterorganisationen hatten ihre Mitglieder", schrieben sie, "zwar zu disziplinierten Mitglieder erzogen, aber nicht zu denkenden sozialistischen Gliedern einer Organisation". Deren "Disziplin war die typisch weltbekannte deutsche Disziplin, die Disziplin der Gefreiten und Unteroffiziere. Der Kadavergehorsam! Wer gegen diese Disziplin verstieß, wer noch wagte, in einer deutschen Arbeiterorganisation seine Meinung zu sagen und zu vertreten, wurde ausgeschlossen."

 

Die Gruppe nahm Kontakt auf zu Edo Fimmen, dem Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF). "Edo Fimmen", schrieb Lehmann, "verstand wie kein anderer die Lage der Seeleute, und so schlossen sich die illegalen Seeleutegruppen der ITF an, und standen jetzt unter dem Schutz ihrer mächtigen Internationale." Fimmen, dessen Name heute kaum noch bekannt ist, war in der Zwischenkriegszeit einer der prominentesten Persönlichkeiten der internationalen Arbeiterbewegung. Er gehörte zu den wenigen einflußreichen Gewerk­schafts­führern, die schon früh die Gefahr des Faschismus für die internationale Arbei­terbewegung erkannten. Bereits in den zwanziger Jahren betrieb die ITF eine militant antifaschistische Politik und unterstütze nach 1933 den Aufbau illegaler Gewerkschaftsgruppen von Transportarbeitern und Eisenbahnern in Deutschland. die ITF repräsentierte eine eigenständige Strömung innerhalb des deutschen Arbeiterwiderstands. Sowohl von Exilvertretungen der und der SPD als auch von der KPD grenzte sie sich politisch scharf ab. Zu der Antwerpener Gruppe entwickelte Fimmen ein besonders enges Verhältnis.

Mit der finanziellen Unterstützung der ITF und des belgischen Transportarbeiterverbandes, der ihnen ein Büro zur Verfügung stellte, arbeitete die Gruppe bis zum Beginn des Krieges in Antwerpen weiter. Auf über 250 Schiffen hatten sie Vertrauensleute, die Literatur mit an Bord nahmen, Verbindungen zu Widerstandsgruppen in Deutschland aufnahmen und von dort Informationen über die deutsche Kriegsrüstung mitbrachten. Seit 1935 gehörte auch Werner Lehmann (geb. 1904), der Bruder von Kurt, zur Antwerpener ITF-Gruppe. Werner Lehmann, der seit 1932 zur See fuhr, war in London von dem deutscher Dampfer 'Havenstein' desertiert. Auf dem Schiff war in Südamerika ein Brand im Lagerraum ausgebrochen und man verdächtigte - zu Unrecht - Werner Lehmann und seinen Genossen der Brandstiftung, weil die beiden als Kommunisten bekannt waren. Unter den Vertrauensleuten der ITF befanden sich weitere Wuppertaler. Arthur Pfeiffer (geb. 1901), der als Seemann in Antwerpen lebte. Hans Vesper (geb. 1902), der Bruder von Walter Vesper4, war schon in den zwanziger Jahren zur See gefahren und kam 1936 wieder nach Antwerpen. Eduard Baumgarten (geb. 1905), war ein Schwager von Vesper. Albert Schmidt, der einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe in Wuppertal angehörte, war 1934 nach Antwerpen gekommen, um sich einer drohenden Verhaftung in Wuppertal zu entziehen. Die Brüder Lehmann waren Schmidt schon aus Barmen bekannt.

Trotz großer Anstrengungen gelang es der Gestapo nicht, in das unterirdische Netz der Seeleute einzudringen. "Man ließ sogar bekannte Seeleute aus den Zuchthäusern und Konzentrationslagern, damit sie sich mit den Illegalen in Verbindungen setzen sollten", schrieb Lehmann, "aber die Seeleute aus den Zuchthäusern verrieten nie ihre Genossen, wohl aber wurde die Gestapo betrogen." Zwar war diese Einschätzung von Lehmann zu positiv. Es gab einzelne Seeleute, die für die Gestapo arbeiteten, aber es waren wirklich nur einzelne. So wurde der erwähnte Eduard Baumgarten von einem Kollegen bei der Gestapo denunziert, weil er diesen mit Kurt Lehmann in Antwerpen gesehen hätte. Da Baumgarten überzeugend darstellen konnte, daß er Lehmann aus Barmen kannte und ihr Kontakt ein rein privater gewesen sei, hatte dies für ihn keine Konsequenzen.

 

Krewet war nach seiner Haftentlassung im Februar Jahre 1935 zunächst nach Wuppertal gezogen, aber schon wenige Monate später nach Antwerpen gefahren. Dort hatte er für kurze Zeit in der Aktivgruppe mitgearbeitet, bis er auf einem deutschen Schiff nach Brasilien angheuert hatte. Im Dezember 1935 'desertierte' er, weil der Leiter der NSDAP-Gruppe an Bord ihn zwangsweise nach Deutschland bringen wollte. Er heuerte auf einem norwegischen Schiff an und stieg dann wieder in den USA aus, weil das Schiff einen deutschen Hafen anlaufen sollte. Über sein weiteres Schicksal berichtete er seinen Genossen im Juni 1937

"Als Mitglied der KPD, zu der ich mich rechnete, meldete ich mich auf dem deutschen Büro der KP der USA. Als erste Aufgabe wurde mir die Aufgabe zugeteilt, die NAZICONVENTION in Buffalo zu sprengen. Es gelang mir in solcher Form, daß selbst bürgerliche Zeitungen spaltenlange Berichte über die Aktionen der Antifaschisten brachten. Das ZK der KPD der USA stattete mir seine besondere Anerkennung aus für die gute revolutionäre Arbeit. Das war die letzte Anerkennung, denn natürlichercherweise nahm ich teil an entscheidenden Sitzungen der örtlichen KP und schrieb einen Bericht an das ZK der Partei in den USA über die undemokratischen Maßnahmen der sogenannten Führer und der haarsträubenden Ferkeleien der ZK Vertreter. (...) Der Leiter des deutschen Büros der KP in Detroit ging zu einem Genossen und sagte: 'Rix (Ps. von Krewet, D.N:) ist gar nicht in Deutschland im Gefängnis gewesen, sondern ist ein Naziagent, der seit Jahren in den USA ist.' Für ihn unglücklicherweise war derjenige zu dem er das sagte jemand, der mit mir 1920 zusammen in der Roten Armee im Rheinland war: Ein Barmer. Sein Erfolg war, daß er aus der Türe flog."

Krewet machte mit der Parteibürokratie in den USA dieselben Erfahrungen, wie seine Genossen in Antwerpen. Knüfken und Lehmann waren von der Leitung der KPD zunächst als "Trotzkisten" und dann als "Gestapo-Agenten" diffamiert worden. Krewet fand genügend Unterstützung, um sich gegen die Diffamierungen zu wehren.

Nach seiner Trennung von der KP war er im Deutsch-Amerikanischen Kulturverband (DAKV) aktiv, einer im Dezember 1935 in New York gegründeten antifaschistischen Dachorganisation deutschsprachiger Organisationen, Vereine und Einzelpersonen. Thomas Mann war einer der Ehrenpräsidenten. Der DAKV verfolgte das Ziel, den Nationalsozialismus in den USA zu bekämpfen und die in ihrer Mehrzahl politisch indifferenten Deutschamerikaner zu beeinflussen.5 Krewet war zunächst im 'Mittleren Westen' und dann in Kalifornien einer der wichtigsten Aktivisten des DAKV. Über seine

Aktivitäten schrieb er den Genossen in Antwerpen.

"Im Rahmen der Gesamtarbeit und in Zusammenhang mit anderen Gen. besteht meine Arbeit in folgendem: Organisierung von Ortsgruppen des Kulturverbandes mit dem Zweck Massengegenerschaft unter den Deutschen gegen Hitler zu schaffen -Organisierung von Aktionen gegen die Nazis-. Vorträge und Artikel in der Presse zur Stärkung der antifaschistischen Bewegung. Das fließt natürlich alles ineinander. Sammlungen für Spanien, Gewinnung von Radiostunden für die antifaschistische Bewegung, Abreissen von Hakenkreuzfahnen, Abhaltung von Kulturabenden mit antifaschistischer Tendenz usw. zwischendurch habe ich halbes Dutzend Broschüren geschrieben, die in einer Auflage von zk einer halben Millionen gedruckt worden sind."

Krewet kooperierte mit der 'Hollywood Anti-Nazi-League', die 1936 von prominenten Persönlichkeiten der Filmindustrie und des öffentlichen Lebens in Los Angeles gegründet worden. Er organisierte Lesungen mit emigrierten Schriftstellern, u. a. mit Ernst Toller.

Krewet war es gelungen, die Seeleute- und Hafenarbeitergewerkschaft 'Maritime Union of Pacific' (MUOP) für den antinazistischen Kampf zu mobilisieren. Er publizierte in deren Zeitungen und sprach auf deren Kongressen als Vertreter des DAKV und der illegalen deutschen Seeleuten. Aufgrund seiner Initiative rief die MUOP im August 1937 zu einem halbstündigen Generalstreik gegen die Unterdrückung der Gewerkschaften in Deutschland und für die Solidarität mit den spanischen Arbeitern auf, der ein voller Erfolg wurde.6 Von Krewet verfaßte Flugblätter wurden von amerikanischen Hafenarbeitern in die Ladungen deutscher Schiffe gelegt und an deutsche Seeleute verteilt.

Zusammen mit der MUOP gelang es dem DAKV und Krewet die Abberufung des Generalkonsuls von San Francisco, Baron Manfred von Killinger zu erreichen. Killinger, der in den zwanziger Jahren einer der Drahtzieher des Mordes an dem Zentrumpolitiker Erzberger war, wurde als "Mörder, Terrorist, Brandstifter und Spion" angegriffen.7

"Dieser Rix ist tatsächlich ein Prachtkerl" - so lautete Fimmens Urteil über Krewet, den er als offiziellen Delegierten der ITF zu den amerikanischen Gewerkschaften ernannt hatte. Weil er kein amerikanischer Staatsbürger war, wurde Krewet Ende 1939 wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Seine drohende Auslieferung nach Deutschland wurde durch die Intervention amerikanischer Gewerkschafter verhindert. Die in Los Angeles lebende Exilforscherin, Prof Dr. Marta Mierendorff charakterisierte ihn, als "eine ganz wichtige, bisher unterschlagene Persönlichkeit des Exils" ,ein "Mann der buchstäblich seinen Kopf hingehalten hat."8

 

"Heute Spanien, morgen Deutschland"! Mit dieser Parole regierte die Antwerpener ITF-Gruppe auf den Aufstand der spanischen Arbeiterklasse gegen den Putsch von General Franco, mit dem im Juli 1936 der Spanische Bürgerkrieg begann. Endlich war es gelungen, im Kampf gegen den Faschismus aus der Defensive in die Offensive zu kommen. Schon im August 1936 fuhren die Brüder Lehmann und Hans Vesper, der von seinem Schiff desertierte, zusammen mit einer Gruppe von acht Seeleuten nach Spanien. "Wir wollten aktiv mit der Waffe offen gegen den Faschismus kämpfen."

Das revolutionäre Barcelona muß auf die Seeleute wie die Erfüllung eines Traums gewirkt haben. Die Macht lag in den Händen der Arbeiterklasse, die nach dem Aufstand spontan die Fabriken in eigener Regie übernommen hatte und Arbeitermilizen zum Kampf gegen Franco aufstellten. "Hier in Barcelona", schrieben die Seeleute in ihrem ersten Bericht, "üben die CNT und die FAI die Hauptkontrolle aus, weil sie die stärksten Organisationen sind. Mit 100% Sicherheit glauben alle an den Sieg der Arbeiter."

Die Seeleute schlossen sich aber nicht den Milizen der anarchistisch-syndikalistischen CNT/FAI an, sondern einer Miliz der sozialistisch-kommunistischen UGT, weil dort die meisten deutschen Freiwilligen waren. Dem Ausländer-Komitee der UGT wurde von Hans Beimler, der offizielle Vertreter der KPD in Barcelona, geleitet. Zwischen Beimler und den Seeleuten kam es bald zu einem harten Konflikt. Lehmann war von der gesamten deutschen Gruppe, der circa 100 Freiwillige angehörten, zum Vertrauensmann gewählt worden. Beimler erkannte diese Entscheidung nicht an und ernannte diktatorisch einen Politkommissar für die Gruppe. Daraufhin verließen 20 Mann der Gruppe und schlossen sich einer Miliz der CNT/FAI an. "Mit einem bewaffneten Trupp holten wir uns aus dem Hotel Colon (Hauptquartier der Kommunisten, D.N.) unsere Pässe zurück, die uns die Kommunisten freiwillig nicht aushändigen wollten", schrieb Kurt Lehmann. " Es ging ohne Schwierigkeiten vor sich, die Kommunisten waren damals in der Minderheit und konnten sich keine Auseinandersetzungen leisten."

Die deutschsprachigen Freiwilligen in den anarchistischen Milizen wurden von der Gruppe 'Deutsche Anarcho-Syndikalisten' (DAS) betreut. Der Gruppe DAS gehörten die Wuppertaler Fritz Benner und Helmut Kirschey, die Anfang August von Amsterdam nach Barcelona gekommen waren. Innerhalb der Miliz 'Columna Durrutti', war von der Gruppe DAS eine internationale Kompanie gebildet worden, die 'Grupo Internacional', der sich die Seeleute anschlossen.

Die Grupo Internacional umfaßte circa 100 Ausländer, von denen über die Hälfte Deutsche waren, die sich aus dem gesamten Spektrum der damaligen Linken rekrutierte. An der Aragon-Front, wo die 'Grupo Internacional' eingesetzt war, kam es zunächst nur zu wenigen Kampfhandlungen.

Im April 1937 hatte die 'Grupo Internacional' bei Tardienta schwere Verluste. Fast die Hälfte der Kompanie wurde verletzt bzw. getötet. Hans Vesper wurde bei diesem Gefecht schwer am Bein verletzt. Er lag fünf Tage zwischen den feindlichen Linien und konnte sich nur nachts kriechend bewegen. Weil keine Betäubungsmittel vorhanden waren, wurde sein Bein bei vollem Bewußtsein amputiert. Dies war für Kirschey, der bei dieser 'Operation' zugegen war, eines der erschütterndsten Erlebnisse des Krieges. Dank Fimmens Bemühungen wurde Vesper im Herbst 1937 nach Göteborg gebracht, wo er vom schwedischen Seeleuteverband unterstützt wurde.

Die Brüder Lehmann waren schon im Januar 1937 nach Antwerpen zurückgekehrt. Werner war krank geworden. Kurt kehrte frühzeitig zurück, weil seine Arbeit in Antwerpen von den spanischen Genossen als wichtiger angesehen, als der Kampf an der Front. Wegen der massiven Unterstützung Francos durch die deutsche Regierung bekam die Arbeit unter deutschen Seeleuten eine wichtige strategische Bedeutung. "Die Vertrauensleute der ITF", schrieb Lehmann, "die nach Franco Häfen kamen, brachten alle Informationen mit, die für die spanische Regierung von Nutzen waren Als 1938 hinter den faschistischen Linien bei Montril 350 asturische Bergarbeiter durch einen Handstreich befreit wurden, so war auch dies die Arbeit der illegalen Seeleute."

 

Die Niederlage der Spanischen Republik wirkte zunächst wie ein Schock auf die Aktivisten der ITF. Ihre Hoffnung, daß die deutschen Arbeiter dem spanischen Beispiel folgen würden, war zerstört. Ihr Hauptfeind, Nazi-Deutschland war gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervor gegangen. Die Antwerpener Gruppe ging nun dazu über Sabotageaktionen vorzubereiten. Im Falle eines Krieges sollte kein deutsches Schiff einen deutschen Hafen erreichen. Gleichzeitig lieferten Fimmen und die Antwerpener ITF-Gruppe dem französischen und britischen Geheimdienst Informationen über die militärische Aufrüstung Deutschlands. Zusammen mit dem britischen Geheimdienst waren sogar Sabotageanschläge in Skandinavien geplant.

Die deutsche Regierung übte seit 1938 massiven diplomatischen Druck aus, um die Arbeit der Antwerpener ITF-Gruppe zu unterbinden. Nun begann, wie Lehmann schrieb ein "trauriges Kapitel" aller "Regierungen, die sich daran beteiligt haben, die Widerstand leistenden deutschen Seeleute für die Gestapo zur Strecke zu bringen. Kurt und Werner Lehmann wurden 1938 aus Belgien ausgewiesen, trotz der Protektion durch Camille Huysmans, des sozialistischen Bürgermeister Antwerpens. Durch Vermittlung der ITF musterten sie auf einem englischen Dampfer 'Lucerie an. Rückblickend schrieb Kurt Lehmann über diese Reise:

"Das letzte gute Beefsteak, daß ich aß, war auf S/S Lucerie. (...) Der Chief (Chefingenieur, D. N.) fett und eingebildet, der Kapitän, so wie in alle Seeleute aller Nationen sich auf allen sieben Seen wünschen: korrekt und Mensch. Nachdem die Formalitätn und der Vertrag nach dem fernen Osten erledigt waren, bekamm jeder eine Fünfpfundnote Vorschuß. (...) Das war kein Bettel, und somit hatten die Madames der Cafés und Bars alle Ursache freundlich zu uns zu sein. Ebenso verspürten die Mädels das Bedürfnsi ihr freundlichstes Lächeln aufzusetzen., denn die fünf Pfund sollten nicht mit in See gehen, sondern an Land bleiben, und sie blieben es restlos. Am andern Tag kam Kapitän Johnson an Bord. Klar vorne und achtern die Leinen los war seine Order. Der Abschied begann von Jeanette, Tilly, Henriette, Jenny, Mimi, Yvonne, Josette und allen, die teilgehabt hatten an den 40mal fünf Pfund Vorschuß. Wir waren dreizehn oder vierzehn Nationen an Bord, in sechs Sprachen wurde Abschied genommen. Die Mädels weinten und winkten ehrlich oder unehrlich, alle meinten es gut."

Die Reise endete für die Lehmanns nicht so gut, wie sie begonnen hatte. In Hongkong durften die Brüder nicht bleiben. Sie fuhren mit einem anderen Schiff nach London, wo ihnen die britische Polizei Landverbot erteilte. Von London kamen sie zurück nach Belgien, wo sie sofort von der Polizei in Empfang genommen wurde. Durch Intervention des belgischen Transportarbeiterverbandes wurden sie nach kurzer Zeit entlassen, mit der Auflage, Belgien für immer zu verlassen. Im Dezember 1938 fuhr Kurt Lehmann auf einem englischen Schiff nach Oran/Afrika. Dort und später in Marseille war er ebenfalls unerwünscht und so kehrte er wieder nach Belgien zurück. Er wurde zu 40 Tagen Gefängnis verurteilt und ging illegal wieder Marseille, wohin ihm sein Bruder ebenfalls folgte. "Im Juli 1939 bekamen Kurt und Werner Lehmann den Befehl sofort Frankreich zu verlassen, sie verließen Marseille aber nicht Frankreich und so kamen sie nach Dünkrichen. Hier kamen sie erst einmal in das schmutzigste aller Gefängnisse."

Durch Intervention Fimmens kamen die Brüder Lehmann zunächst aus dem Gefängnis frei. Diese 'Freiheit' währte aber nur einige Wochen. Unmittelbar nach Kriegsausbruch, am 5. September wurden sie als feindliche Ausländer interniert. Fimmen hatte in London eine Einreiseerlaubnis für die beiden bekommen. Aber ihre Entlassung aus dem Lager wurde von der französischen Bürokratie verhindert. In deren Augen galten sie als gefährliche Kommunisten. Fimmen konnte von London aus "nur Briefe schreiben", während seiner Meinung nach "eine recht kräftige, persönliche Aussprache in Frankreich nötig" gewesen wäre.

"Nur keine Sorgen, daß wir den Kopf hoch halten, kannst Du dir denken, auch wenn er mal abgehauen werden sollte" schrieb Kurt Lehmann noch mit Galgenhumor im Januar 1940. Im April 1940 schrieb er verzweifelt an Fimmen: "Edo, wenn du Gelegenheit hast etwas zu tun, sag, daß wir hier nicht hingehören. Was kann man gegen uns haben, was haben wir getan? (...) Am 1. Tag des Krieges haben wir uns zu der Armee France gemeldet, später zur Prestataire, jetzt zur Legion. Jeder weiß, daß man uns in Deutschland und Rußland hängt, wenn man uns faßt, also nun bin ich unter den 100% Deutschen und laufe noch Gefahr mit denselben noch nach Deutschland abgeschoben zu werden nach dem Krieg. Also was tun, nichts kann ich machen, nur abwarten und hoffen, daß die Nazis eindeutig den Krieg verlieren, in der Hoffnung will ich schließen."

Wenige Tage später informierte die ITF die Lehmanns, daß eine "neue Verbindung" zu einem französischen Ministerium geschaffen sei. Das war zu spät! Der Überfall der deutschen Truppen verhinderte die eventuelle Freilassung der Internierten. Die Brüder Lehmann wurden als gefährliche Ausländer in das nordafrikanische Lager Suzzoni und kurze Zeit später in das berüchtigte Lager Berroughia gebracht. "Das Lager ist in Wirklichkeit eine Art festes Gefängnis am Rande der Wüste, von hohen Mauern umgeben. Zwei Stunden am Tage dürfen die Lagerinsassen (... ) unter Bewachung in einem Hof spazieren gehen." Zu dieser Unterbringung kam die miserable Ernährung, das harte Wüstenklima und die permanente Angst den Deutschen ausgeliefert zu werden.

Nach Artikel 19 des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrages waren die Franzosen verpflichtet, "alle in Frankreich sowie in den französischen Besitzungen lebenden Deutschen, die von der Reichsregierung namhaft gemacht werden konnten, auf Verlangen auszuliefern."9 Zwischen Februar 1941 und der vollständigen Besetzung Frankreichs im November 1942 wurden in Anwendung des Artikels19, 21 deutsche Flüchtlinge an Deutschland ausgeliefert. Unter den ersten waren die Brüder Lehmann. Diese Tatsache zeigt, welchen Stellenwert die Gestapo den Aktivitäten der ITF-Seeleute zumaß. Über die Auslieferung schrieb Kurt Lehmann:

"Am 1. 7. 41 lieferte die Vichy Regierung auf Verlangen der Deutschen die beiden Brüder Lehmann an die Gestapo aus. In Berroghia wurden beide aneinander gefesselt und den Deutschen an der Demarkationslinie bei Chalons-sur -Saone übergeben. Zur Ehre des Chefs der Sûrete von Algier sei gesagt, daß aß er sich ebenso schuftig benommen hat, wie die Nazis. Dieser Lump hat die beiden anständigen Leute an Händen und Füßen fesseln lassen, bis das Schiff nach Marseille ging."

Ende 1941 informierte der deutsche Emigrant Hans Kakies Fimmen über das Schicksal der Lehmanns: "Auf der Überfahrt von Marseille hatte einer von ihnen sich die Pulsadern durchschnitten um der Auslieferung an die Nazis zuvor zu kommen. Man hat ihm eben noch 'gerettet'. Wir hatten durch wohlmeinende Marseiller Polizei davon Kenntnis bekommen. Leider war es schon zu spät, um noch irgendwelche Hilfe zu mobilisieren."

Die Brüder Lehmann wurden Von Frankreich zunächst in das Gestapogefängnis nach Karlsruhe gebracht und von dort direkt in die "Zentrale des Terrors", im Hausgefängnis des Reichssicherheitshauptamt in Berlin. "Und am 20. 8. als Kurt und Werner dort in Berlin eingeliefert wurden, da sagte der Kommissar Fuhrmann, zu den beiden Seeleuten. Das wichtigste haben wir, die Kampfgruppe zerschlagen. Ihr habt gut gekämpft., aber nur auf der verkehrten Seite. Die Seeleute dachten, den Erfolg verdankt ihr den Demokratien."

Am 21. September starb Werner Lehmann. Ob durch Mord, wo von Kurt Lehmann ausging, oder durch Selbstmord, wie es die Gestapo behauptete, wird nicht mehr festzustellen sein. Beide Varianten sind möglich. Werner Lehmann rechnete realistisch für sich mit einem Todesurteil. Um in der Folter keine Genossen zu verraten, hat er vielleicht den Freitod gewählt. Für die beiden Brüder kam erschwerend hinzu, daß sie von einem Mitgefangener im Gefängnis Karlsruhe denunziert worden waren. Nach dessen Aussagen hatte Kurt Lehmann ihm gegenüber geäußert: "Das ist doch nicht schlimm, was du hast, ich weiß, daß ich den Kopf verliere, aber meine größte Sorge ist, daß ich von der von der Gestapo gezwungen werden kann, weitere etwa 50 Personen zu nennen, die in diese Sabotagesachen mit verwickelt sind."

Kurt Lehmann hatte die Kraft den Folterungen zu widerstehen. "Bei Lehmann handelt es sich um einen alten fanatischen Kommunisten, der die kommunistische Partei verlassen hat, weil sie annehmbar nicht radikal genug war", schrieb der Gestapo-Kommissar Fuhrman am 9. Oktober 1941. "auch z. Zt. läßt Lehmann nicht erkennen, daß er gewillt ist, jemals von seiner politischen Einstellung abzulassen. Bei seiner Vernehmung hielt er strikt an die von der kommunistischen Partei herausgegebenen Richtlinien, bei einer Vernehmung durch die Polizei keine Angaben zu machen, vor allem aber keine Personen zu nennen. (...) Er muß noch heute als unverbesserlicher Gegner des nationalsozialistischen Deutschlands angesprochen werden."

Bis zum Juli 1942 blieb Lehmann im Hausgefängnis der Gestapo-Zentrale. Er wurde dann in das Untersuchungsgefängnis Moabit gebracht, wo er bis August 1943 einsaß. Dann wurde er für kurze Zeit in Plötzensee inhaftiert. Die schweren Bombenangriffe auf Berlin empfand er dort als "Balsam","Ich dachte entweder tot oder ausbrechen." Von Plötzensee wurde er in das Zuchthaus Amberg gebracht, wo er bis Januar 1945 einsaß. Dem folgte bis zum 25. 4. 1945 das Zuchthaus Straubing. Unter Kolbenschlägen der SS-Wachmannschaften wurden die Häftlinge in das KZ Dachau gebracht. "Sterbend im Walde bei Dachau" wurde Kurt Lehmann von der "Amerikanische Armee" gerettet.

Er verdankte der Tatsache sein Leben, daß der Volksgerichtshof den vorbereiteten Prozeß gegen die ITF offenbar erst nach Kriegsbeginn plante und er deshalb nicht vor Gericht gestellt wurde, was sein sicheres Todesurteil bedeutet hätte. Auch der Wuppertaler Seemann Paul Pfeiffer entging dadurch, einer Verfolgung durch die Gestapo. Pfeiffer wurde verdächtigt, im Jahre 1938 einen Sabotageanschlag auf den Dampfer 'Westernland' mit verübt zu haben. Weil er im Jahre 1944 Angehöriger der Kriegsmarine war, legte die Gestapo die Ermittlungen gegen ihn auf Eis.

 

Der Wuppertaler Seemann Albert Schmidt geriet in das Räderwek der Gestapo. Im April 1940 wurde er wegen "Heimtücke" zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er über seine Vernehmungen bei der Gestapo gesprochen hatte und dabei denunziert wurde. 1941 wurde er erneut verhaftet und zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Erich Krewet wurde nach dem Kriegseintritt der USA 1941 als "feindlicher Ausländer" interniert. !942 wurde er entlassen mit der Auflage, seinen Wohnsitz nicht an der Küstenzone zu nehmen. Bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland schlug er sich als Holzfäller, Tellerwäscher und Portier durch.

Jack Vesper hatte nach seiner Genesung die ITF-Arbeit unter deutschen Seeleuten in Göteborg fortgesetzt. Bei dieser Arbeit halfen ihm später die beiden Wuppertaler Anarchosyndikalisten Kirschey und Benner, die er in Spanien kennengelernt hatte. Fritz Benner war seit 1938 Helmut Kirschey seit Anfang 1939 in Göteborg. Die Arbeit unter deutschen Seeleuten wurde nach Kriegsbeginn in Schweden unter Strafe gestellt. Sie galt als Spionage. Benner und Vesper wurden im März 1940 als "feindliche Ausländer" im Lager Langmora interniert. Benner erkämpfte sich seine Freilassung durch einen Hungerstreik. Vespers Gefangenschaft dauerte fast drei Jahre. Erst im März 1943 wurde er mit der Auflage entlassen, sich in keiner Hafenstadt Schwedens aufzuhalten.

Unter konspirativen Bedingungen setzten Benner und Kirschey seit 1941 die Arbeit unter deutschen Seeleuten fort. Rückblickend schrieb Kirschey:"Im Frühjahr 1941 kam Fritz Benner von Stockholm auf Besuch und erzählte, daß er und Rüdiger mit der norwegischen Widerstandsbewegung zusammen arbeiten via der britischen Botschaft und dem Presseattache´. (...) Man beabsich­tige Propagandamaterial an deutsche Seeleute zu bringen, die zahlreich nach Göteborg kamen, und weiter wollte man versuchen, dieses Material auf die deut­schen Eisenbahnzüge mit deutschen Soldaten zu bringen, die über Göteborg nach und von Norwegen gingen. Er erzählte mir, daß die ITF miteinbezogen wäre, u.a. Edo Fimmen, dessen Rolle mir bekannt war. Ich habe dann angefangen, deutsche Seeleute hier anzusprechen und auszuhorchen, ob es Antifaschisten unter ihnen gab, aber auch mündliche Propaganda fand man wichtig. (...) 1942 kam ein Kurier, ein schwedischer Redakteur der syndikalistischen Zeitung 'Arbetaren' zu mir. Er war mehrere Male vorher bei mir zu Hause gewesen, aber dieses mal war er in Panik und erzählte, daß die schwedische politische Polizei ihn beschat­tete und er bat um Hilfe seinen Koffer voll mit Material los zu werden. Wenige Tage danach wurde ich aber morgens um 7 Uhr nach einer gründlichen Hausuntersuchung verhaftet unter dem Verdacht: unerlaubter Nachrichtendienst, eine Verschönerung des Wortes Spionage. Man beschuldigte mich, an unerlaubter Tätigkeit gegen Deutschland und Norwegen beteiligt zu sein. (...) Sie fanden natürlich nichts für sie anwendbares, ich wurde aber 2 Wochen lang intensiven Kreuzverhören ausgesetzt und es zeigte sich, daß der Stockholmer Redakteur, Einar Strahle auch verhaftet worden war. Nach einem Hungerstreik, der Presse bekannt wurde, wurde ich nach 2 Wochen Haft entlassen. Man sagte mir bei einem Verhör, daß das Telefon der Polizei warm liefe von Anrufen des deut­schen Generalkonsulats wegen meiner Aktivitäten.(...) Ich konnte Fritz übrigens für seine Arbeit gute Kontakte mit Eisenbahnern verschaffen, diese versteckten Flugblätter u.a. in Toilettenpapier. Wenn die Soldaten sich den Hintern abputz­ten, bekamen sie ein Flugblatt mit Anweisungen, wie die Hitlerwehrmacht geschädigt und damit dem Krieg ein Ende gemacht werden könne.10

Kirschey wurde nach dem Kriege schwedischer Staatsbürger. Benner kehrte 1948 nach Wuppertal zurück, aber ging 1953 wieder nach Schweden. Vesper kehrte 1946 nach Wuppertal zurück. Er starb 1970. Nach sechswöchigem Krankenhausaufenthalt kehrte Kurt Lehmann im Juni 1945 nach Wuppertal zurück. Er arbeitete als Heizer bei der britischen Armee und später bei der Bundeswehr. Für kurze Zeit fuhr er noch einmal zur See.

Ende der vierziger Jahre schrieb Lehmann einen kurzen Bericht "Über den Widerstand deutscher Seeleute", der nach seinen Worten nichts zu tun hatte, mit dem Widerstand der Generäle, "die bis 1944 im Stechschritt hinter dem Tapezierer von Braunau herliefen, und im letzten Moment aussteigen wollten." In dieser Formulierung kommt die Enttäuschung zum Ausdruck, die viele Antifaschisten empfanden, die nicht erst 1944 sondern von Beginn das Nazi-Regime bekämpft hatten und diese Tatsache in der Öffentlichkeit nicht gewürdigt sahen.

Aber auch bei der politischen Linken fand Kurt Lehmann keinen Platz mehr im Nachkriegsdeutschland. 1953 schrieb er ein wenig resigniert an den aus Wuppertal stammenden Schriftsteller Walter Hammer: "Heute ist aber nicht gut vom Kampf zu erzählen. Bei der KPD gilt man als Reformist, bei der Besatzungsmacht als Anarchist. Tatsache ist: Ich liebe keine Diktatur." Lehmann starb 1987, ohne das in seiner Heimatstadt jemand Notiz davon genommen hätte. "Für dieses Volk hat es sich nicht gelohnt zu kämpfen." So ähnlich soll er sich zum Ende seines Lebens ausgedrückt haben.

Erich Krewet kam 1956 nach Deutschland zurück. Über sein spätes Schicksal schrieb Marta Mierendorff dem Verfasser:

"Zeichen und Wunder! Seit mehr als 20 Jahren warte ich darauf, daß endlich jemand über Krewet arbeitet. Ich lernte ihn persönlich kennen, anläßlich des ersten Exilsymposiums in Stockholm 1969. Er hatte seine Materialien bei sich, aber es bestand eine Animosität gegen ihn, niemand wollte es sehen. Mir war seine Arbeit hier bekannt. (...) 1972 trafen wir uns wieder in Kopenhagen. Er war noch verbitterter. Nirgends fand er Interesse. Dann schrieb er mir, nun vernichte er alles. Was er wohl auch getan hat. Er war schwer umgänglich, verständlicherweise sehr mißtrauisch." Krewet starb 1972 in Mölln.

Für Krewet und alle hier genanten gilt, was Kurt Lehmann in einem 1953 geschriebenen, aber wahrscheinlich nie veröffentlichten Nachruf über seinen Bruder Werner schrieb:

"Wohl ist die Nacht von Deutschland gewichen. Aber nicht überwunden ist der Geist der braunen Pest. Noch ist der Körper verseucht von dem im 12 Jahren eingeimpften Gift. erst wenn dieses Gift restlos ausgeschieden ist, erst dann erfüllt sich das Vermächtnis Werners.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Soweit nicht anders angegeben, basieren die folgenden Ausführungen auf folgenden Quellenbeständen - Archiv der Intenationalen Tansportarbeiter-Föderation.: Modern Records Centre, University of Warwick Library, Archiv der sozialen Demokrtie Bonn; Gestapo und Justizakten: Bundesarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, Hauptstaatachiv Düsseldorf; Manuskripte und Briefe von Kurt Lehmann: Forschungsstelle zur Geschichte des Nationalsozialismus Hamburg, Nachlaß Schwarz; Briefwechsel Kurt Lehmann mit Walter Hammer: Institut für Zeitgeschichte München; Nachlaß Hammer.

2

Richard Stumpf: Die Matrosenrevolte in Wilhelmshaven 1918, in: Wolfram Wette (Hrsg.): Der Krieg des kleinen Mannes, S. 168 - 180, hier S. 180, München 1992.

3

Jürgen Rath, Leben unter Deck: Frachtdampfer 1900 - 1925, in: Stadt und Hafen. Hamburger Beiträge zur Geschichte von Handel und Schiffahrt, hrsg. von Jürgen Ellermeyer und Rainer Postel, Hamburg 1986, S. 180 - 189, hier S. 181.

4

Siehe Beitrag von Burkhart Krohn.

5

Zum DAKV vgl. Exil in den USA. Mit einem Bericht "Schanghei - Eine Emigration am Rande", Leipzig 1983, S. 116 - 121.

6

Zu diesem Streik vgl. Bruce Nelson, Workers on the Waterfront. Seamen, Longshoremen and Unionism in the 1930s, University of Illinois Press 1988, S. 171.

7

Vgl. Marta Mierendorff. William Dieterle. Der Plutarch von Hollywood, Berlin 1993, S. 114.

8

Marta Mierendorff an Dieter Nelles, 12. 1. 1994

9

Zitiert nach Barbara Vormeier: Die Lage der deutschen Flüchtlinge in Frnakreich. September 1939 bis Juli 1942, in: Jacques Grandjonc/Theresia Grundtner (Hg.): Zone der Ungewißheit. Exil und Internierung in Südfrankreich, S. 210-324, hier S. 216.

10

Brief Kirschey an Nelles, 22.10. 1990. Zu Kirscheys Verhaftung und seine Behandlung durch die schwedische Sicherheitspolizei vgl. Artikel über Kirschey in: Göteborgs Tidningen, 11. 2. 1953.

 

Quellenhinweis: 

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