Schloss Hartheim


Schloß Hartheim Австрия

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15. August 2001
Das Gedenkstättenprojekt und der Verein Schloss Hartheim
Hartmut Reese

Schloss Hartheim wurde im Jahre 1898 in Form einer Schenkung dem Oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsverein zu wohltätigen Zwecken von Camillo Fürst Starhemberg übereignet. In der Folge errichtet der Verein eine Pflegeanstalt für geistig und mehrfach behinderte Menschen. 1938 wurde das Schloss von den Nationalsozialisten enteignet und zur »Euthanasie«anstalt umgebaut, in der zwischen 1940 und 1944 etwa 30000 Menschen ermordet wurden, die von den Nationalsozialisten als »lebensunwert« klassifiziert worden waren. Es waren dies geistig und körperlich behinderte oder kranke Menschen und nach dem Ende der »offiziellen« »Euthanasie« im Sommer 1941 kranke oder als »lebensunwert« eingestufte Häftlinge aus den Konzentrationslagern von Mauthausen und Dachau sowie Zwangsarbeiter und andere für nicht mehr »lebenswert« erklärte Menschen.

Die Tötung der geistig und körperlich behinderten und anderer als »minderwertig« eingestufter Menschen war das Resultat rassistischer und sozialdarwinistischer Vorstellungen des Nationalsozialismus. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland 1933 wurde versucht, diesen »Sozialdarwinismus« in soziale Wirklichkeit umzusetzen. Für »unnütze Esser« oder »Ballastexistenzen«, wie geistig oder körperlich behinderte Menschen, sollte im nationalsozialistischen Deutschland kein Platz mehr sein. Da die mit dem Gesetz vom 14. 7. 1933 zur »Verhinderung erbkranken Nachwuchses« eingeführte Zwangssterilisierung sogenannter »Erbkranker« letztlich nur langfristig im Sinne der NS-Intentionen wirksam werden konnte, wurde mit Beginn des Krieges im September 1939 mit der Tötung von behinderten Menschen begonnen. Mit der »Ausmerze« der geistig und körperlich Behinderten sollte der »negativen Auslese« durch den Krieg, indem die Gesunden starben oder verstümmelt wurden, die Kranken aber überlebten, entgegen gewirkt werden. Die Nationalsozialisten begannen die »«Euthanasie«« oder »Gnadentod« genannte Vernichtung des »lebensunwerten Lebens« mit kranken Kindern, indem ab Sommer 1939 »missgebildete und idiotische Kinder« bis zum 3. (spätestens 17.) Lebensjahr in speziellen »Kinderfachabteilungen« ermordet wurden. Wenig später wurde aufgrund einer auf den 1. 9. 1939 zurückdatierten »Ermächtigung« Adolf Hitlers mit der »Euthanasie« der erwachsenen geistig und körperlich behinderten Menschen begonnen. Im Rahmen dieser von der Kanzlei des Führers organisierten Aktion, die nach der Adresse in Berlin, Tiergartenstraße 4 mit »T4« betitelt war, wurde ein großer Teil der Patienten aus den deutschen Heil- und Pflegeanstalten in sechs »Euthanasie«-Anstalten verbracht und dort mittels Giftgas ermordet. Hartheim war neben Brandenburg, Bernburg, Grafeneck, Hadamar und Sonnenstein eine dieser Anstalten. In Hartheim waren ähnlich wie in den anderen Anstalten nach 1939 die Installationen und Umbauten für den Betrieb als Mordstätte eingerichtet worden. Die »Euthanasie«aktion in Hartheim begann im Frühjahr 1940. Der von der »Gekrat« vorgenommene Transport erfolgte per Bahn bis Linz und anschließend in Autobussen, die in einen dafür eingerichteten Holzverschlag an der Nordseite des Schlosses einfuhren. Nach Entkleidung, Identitätsfeststellung, Registrierung von Goldzähnen und Fotografieren wurden auch in Hartheim die Opfer in der wahrscheinlich als Brausebad getarnten Gaskammer mittels Kohlenmonoxyd getötet. Nach der Entfernung der Goldzähne wurden die Leichen in einem Krematorium verbrannt, die Knochen in einer Knochenmühle zermahlen und die Asche in die Donau gestreut. Die Informierung der Angehörigen erfolgte ebenfalls wie in den anderen Anstalten mittels eines methodisch ausgeklügelten Systems vorgetäuschter Todesursachen wie falscher Sterbeorte.

Im August 1941 wurde die Aktion T4 auch in Hartheim gestoppt. Dennoch ging das Morden in Hartheim weiter. Im Rahmen der Aktion »14 f 13«, in der nicht mehr arbeitsfähige, kranke oder auch missliebige KZ-Häftlinge ermordet wurden, fanden ca. 8000 Häftlinge der Konzentrationslager Mauthausen und Dachau in Hartheim den Tod. Außerdem diente Hartheim als Tötungsanstalt für einige hundert als geisteskrank eingestufte, nicht mehr arbeitsfähige »Ostarbeiter«. Zeitweise wurde Schloss Hartheim auch zu einer Zentrale der Aktion T4, nachdem im Sommer 1943 kriegsbedingt T4-Dienststellen von Berlin nach Hartheim bzw. nach Weißenbach am Attersee verlegt worden waren. Die für die Morde in Hartheim verantwortlich zeichnenden Ärzte und Verwaltungsbeamten waren durchweg langjährige, überzeugte Nationalsozialisten. Direktor war der Linzer Psychiater Dr. Rudolf Lonauer, sein Stellvertreter Dr. Georg Renno aus Straßburg gebürtig. Für die Verwaltung waren u.a. Christian Wirth, Franz Stangl, Gustav Wagner und Franz Reichleitner zuständig, die später in Treblinka, Belzec und Sobibor sowie San Sabba, in einem Vorort von Triest gelegen, als KZ-Kommandanten eingesetzt waren. Viele Hartheimer wurden nach dem »offiziellen« »Euthanasie«-Stopp im August 1941 zur »Aktion Reinhard«, der Ermordung der Juden im Generalgouvernement abkommandiert. Als das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft absehbar wurde, mussten zwanzig Mauthausener Häftlinge im Dezember 1944 und Januar 1945 im Auftrag der Kanzlei des Führers bzw. der Kommandantur des KZ Mauthausen die technischen Einrichtungen in Hartheim beseitigen und den alten baulichen Zustand wiederherstellen. Die 1938 vertriebenen Barmherzigen Schwestern durften zurückkehren und in einer Gauhilfsschule wieder behinderte Kinder betreuen. Nach der Befreiung durch US-Streitkräfte Anfang Mai 1945 fand Oberstlt. Ch. H. Dameron als Kommandant des »war crimes investigation teams No 6824« (Ermittlungseinheit für Kriegsverbrechen) im Rahmen seiner Recherchen im Juni 1945 in einem Aktenschrank die sogenannte »Hartheimer Statistik«, einen 39-seitigen Bericht über die Zahl der ermordeten behinderten Menschen im Rahmen der »Euthanasie«aktion bis zum August 1941, in der zudem noch minutiöse Angaben über die materiellen »Einsparungen« dieser Aktion enthalten sind. Angegeben sind 70273 »Desinfektionen«, also Tötungen, davon 18269 in Hartheim. Diese »Statistik« stellt bis heute die Grundlage für die Schätzungen der Mordzahlen der »offiziellen« »Euthanasie« zwischen dem Frühjahr 1940 und August 1941 dar; ihr Wert für die Forschung ist aber immer noch nicht ausreichend geprüft, zumal die im zugehörigen Bericht von Dameron aufgeführten Vernehmungsprotokolle und anderen Materialien wie Photos und weitere Dokumente bisher noch nicht aufgefunden wurden.

Die Nachkriegsprozesse gegen einzelne Angehörige der »Euthanasie«aktion in Hartheim endeten allein in Linz vor dem Volksgericht mit einem Todesurteil gegen den sogenannten »Heizer« Vincens Nohel; alle andern - soweit angeklagt - kamen ohne Strafen davon; Dr. Lonauer beging Selbstmord und Dr. Renno, der zweite Hartheimer Arzt, kam nach einem Prozess in Frankfurt wegen »Verhandlungsunfähigkeit« frei und starb vor einigen Jahren im weiteren unbehelligt in einem Altenheim in der Pfalz.

Die Nachkriegsgeschichte von Schloss Hartheim beginnt damit, dass das Schloss nach einer kurzen Phase der Belegung durch US-Streitkräfte zur Unterkunft für Flüchtlinge wird und 1954 die Betroffenen eines großen Donauhochwassers aufnehmen muss. Im Jahre 1965 errichtete der Oberösterreichische Landeswohltätigkeitsverein - eine private christlich-katholisch orientierte Stiftung vom Ende des 19. Jahrhunderts - wieder seine 1938/39 von den Nationalsozialisten geschlossene Einrichtung für die Pflege behinderter Menschen in Hartheim. Die damaligen Mitglieder dieses Vereines verstanden die Wiedererrichtung des Hauses 25 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft in ihrer Mehrheit als Sühne für das, was sowohl den Bewohnern und Patienten der seinerzeitigen Anstalt Hartheim als auch allen anderen Opfern in Hartheim geschehen war. Die sich über einige Jahre erstreckende Diskussion, ob man die Arbeit im Schloss, also dem Ort der Morde an den behinderten und kranken Menschen, wieder aufnehmen könnte, war entschieden worden. Der Ort selbst sollte es nicht sein und neben den psychologischen wie ethischen Gründen sprach auch die Ökonomie dagegen. Die Errichtung eines neuen Hauses war ungleich günstiger als eine Adaption des alten Schlosses. Dennoch überwogen wohl in der Diskussion um den Ort die Argumente, dass dieser Ort des Mordens nicht der Ort der Arbeit mit behinderten Menschen sein könne. So wurde wenige hundert Meter vom Schloss entfernt ein neues Gebäude errichtet und bezogen, das heute eine der modernsten Einrichtungen dieser Art in Oberösterreich beherbergt. Auch als Wohnstätte, die Schloss Hartheim nach dem Krieg geworden war, wurde es zunehmend untragbar. Dennoch sollte dieser Zustand trotz wachsender kritischer Einwände vor allem von Angehörigen der Opfer noch bis 1999 andauern. Niemand schien in den Jahren bis 1965 Anstoß an der veränderten Funktion des Schlosses genommen zu haben. Die ehemaligen Räume der »Euthanasie« wurden von den Bewohnern als Abstellräume, Kohlenkeller u.ä. genutzt. Vier Jahre nach der Errichtung der jetzt »Institut Hartheim« genannten Einrichtung entschloss sich aber der Trägerverein, im Schloss den ehemaligen Aufnahmeraum und die Gaskammer zu Gedenkräumen umzuwidmen. Die Räume wurden von zwei österreichischen Künstlern gestaltet. Glasfenster und ein Altar mit Kreuz signalisierten eine christliche Form des Gedenkens. Im Laufe der Jahre errichteten vor allem Angehörige von Opfern aus den ehemaligen Konzentrationslagern Mauthausen und Dachau Gedenktafeln und besuchten die Gedenkräume regelmäßig. Das Gedenken an die Opfer der »Euthanasie« fiel vergleichsweise schwach aus. Nur einige wenige Tafeln erinnerten an die Hauptgruppe der Opfer in Hartheim.

Dass Schloss Hartheim ein Wohngebäude war, in dem nur wenig an seine Funktion als eine der wesentlichen Stätten der NS-»Euthanasie« erinnerte, hat aber einen Kreis von engagierten Menschen nicht ruhen lassen, und aus diesen Motiven heraus betrieben sie das Projekt, aus Schloss Hartheim einen seiner Geschichte angemessenen Ort zu machen. So wurde nach einigen Jahren Vorlaufzeit im Jahre 1995 vor allem auf Initiative von Persönlichkeiten aus dem Oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsverein und dem Institut Hartheim mit Unterstützung von Persönlichkeiten des gesellschaftlichen wie politischen Lebens Oberösterreichs der Verein Schloss Hartheim gegründet.

»Den Anstoß bildete«, wie es in den Zielsetzungen des Vereines heißt, »die Vergangenheit des Schlosses, das im Nationalsozialismus zu einer Stätte der Vernichtung >lebensunwerten Lebens< gemacht worden war: Mindestens 30000 behinderte und kranke Menschen wurden hier ermordet. Aus diesem Geschehen leitet sich für den Verein die Verpflichtung her, für die Opfer der NS-»Euthanasie« einen Ort des Gedenkens zu schaffen, der aber gleichzeitig ein Ort des Lernens und der Reflexion über gegenwärtige und zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen sein soll, die geeignet scheinen, das Lebensrecht behinderter und kranker Menschen einzuschränken oder es ihnen ganz abzusprechen. Wesentlich ist uns, dass der Verein Schloss Hartheim von Personen mit unterschiedlicher politischer Einstellung getragen wird, und dass es gelungen ist, auch bei den politischen Repräsentanten des Landes Oberösterreich parteienübergreifend Unterstützung für dieses Projekt zu gewinnen «1

Wiewohl die historischen Ereignisse Zentrum und Ausgangspunkt der Vereinsarbeit bildeten, vertrat der Verein die Ansicht, dass diese nicht isoliert gesehen werden dürften: die nationalsozialistische Politik der Vernichtung »lebensunwerten Lebens« besitze Wurzeln, die sich über weit mehr als hundert Jahre zurückverfolgen ließen, und die Prämissen, auf denen sie beruhten, seien nicht mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus verschwunden. Im Gegenteil, gerade heute ließen sich in den Humanwissenschaften, vor allem in Biologie und Medizin sowie in der Sozial- und Gesundheitspolitik verstärkt Tendenzen feststellen, bestimmten Menschengruppen das Lebensrecht abzusprechen. Aus diesem Grund wollte sich der Verein Schloss Hartheim sowohl mit den gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen der NS-»Euthanasie« als auch mit aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen und mit seiner Arbeit aufklärend und bewusstseinsbildend wirken, um Entwicklungen mit verhindern zu helfen, die in eine ähnliche Richtung zu laufen drohten.

Nach seinem Selbstverständnis bildet die christlich-universalistische Ethik, die auch die Basis des Rechtssystems unserer Gesellschaft darstelle, den allgemeinen Rahmen der Arbeit des Vereines. Außerdem bezieht sich der Verein auf die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, in der der Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte für alle Menschen festgelegt ist. Der Verein stellt sich damit bewusst der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung und bezieht eindeutig Position gegen die Bestrebungen der sogenannten Bioethik und ähnlicher Entwicklungen, die mit dem Anspruch auftreten, die bislang gültigen ethischen Grundsätze zu ersetzen.

Die Situation von vier Menschengruppen steht im Mittelpunkt der Arbeit des Vereins: ungeborene, behinderte, kranke und alte Menschen. Dies sei zum einen den Opfern der nationalsozialistischen »Euthanasie«politik geschuldet, zum anderen reagiert der Verein damit auf Versuche, vom Standpunkt eines vorgeblichen gesellschaftlichen Nutzens aus zu definieren, wer Mensch ist oder sein darf.

Kritisch wird sich auch mit dem Kriterium des marktwirtschaftlich definierten Nutzens und der Produktivität als zentrale Kriterien für die Einschätzung des Menschen auseinandergesetzt.2 Menschen, welche diesen Kriterien nicht entsprächen, seien in ihrem materiellen Lebensunterhalt wie auch in der Akzeptanz ihres Lebensrechtes von der Solidarität der Gesellschaft abhängig. Wenn der gesellschaftliche Konsens zur Unterstützung dieser Menschen brüchig werde, könne damit tendenziell auch das Lebensrecht dieser Menschen in Frage gestellt werden. Verschärft könne dies für alle jene Menschen gelten, die sich aufgrund von Krankheit, Behinderung oder aufgrund ihres Lebensalters in einer schwachen Position befinden.

Speziell die Entwicklungen im Bereich von Biologie, Medizin und Medizintechnik führten heute dazu, dass die Frage nach der Existenzberechtigung von Menschen, die wegen Krankheit, Behinderung oder Lebensalter den Anforderungen der materiellen Nützlichkeit und Produktivität nicht genügen, immer lauter gestellt werde. Die Grundsätze der christlich-universalistischen Ethik, auf denen Verfassung und Rechtssysteme der europäischen und amerikanischen Industriestaaten aufbauten, verbäten aber solche Abwägungen. Doch bestehe die Gefahr, dass die medizinische und gesellschaftliche Praxis Zug um Zug diese Grundprinzipien aufweiche, wie die neuesten Diskussionen zeigten. Schon heute sei festzustellen, dass für die sensiblen Phasen des Lebensbeginns und des Lebensendes, in denen die menschliche Existenz besonders verletzlich sei, das Lebensrecht zunehmend in Frage gestellt werde. Künstliche Befruchtung, In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik (PID) sowie die immer weiter verfeinerten Methoden pränataler Diagnostik erzwängen Entscheidungen, ob und welche Kinder geboren werden sollen. Vorgeburtliche Befunde, die auf eine Behinderung des Kindes hinwiesen, ermöglichten z.B. in Österreich den Abbruch einer Schwangerschaft de facto bis zum Tag vor der Geburt. Die Feststellung einer Behinderung beim ungeborenen Kind setze Eltern und Ärzte unter Druck und berge die Gefahr in sich, dass in einem solchen Fall der Schwangerschaftsabbruch zur sozialen Pflicht werde. Unter dem Aspekt der hohen materiellen und sozialen Kosten, die Behandlung, Therapie und Betreuung kranker und behinderter Kinder verursachen würden, folge der vorgeburtlichen Selektion eine Diskussion um die Freigabe der Tötung von Neugeborenen mit bestimmten Behinderungen.

Analog dazu gerate die Phase des Lebensendes verstärkt in das Blickfeld einer Kosten-Nutzen-Argumentation. Für Menschen mit altersbedingten Leiden und Gebrechen, aber auch für unheilbar kranke Menschen, die einer intensiven Betreuung bedürften, werde die Möglichkeit der »Euthanasie« gefordert. Die niederländische Gesetzgebung stelle z.Zt. nur die Spitze dieser Entwicklungen dar. Auch in anderen europäischen Ländern sei eine heftige Diskussion um diese Fragen im Gange, deren Ausgang eher zur Skepsis anrate. Gerechtfertigt würden solche Vorschläge vor allem auch damit, dass einem solchen, nur leidvollen Dasein jeder Sinn abgesprochen wird.

Diese Versuche zur Selektion am Beginn und am Ende des Lebens hätten aber auch gravierende Auswirkungen auf die soziale Position behinderter Menschen in unserer Gesellschaft. Sie führten zu einer schrittweisen Aushöhlung ihres Lebensrechtes. Wenn die Geburt eines behinderten Kindes als Unglück dargestellt werde, das durch Schwangerschaftsabbruch abgewendet werden könne oder gar müsse, wenn für alte und/oder unheilbar Kranke die »Euthanasie« diskutiert werde, dann werde bald auch die Existenzberechtigung behinderter Menschen selbst infragestellbar sein.

Auf der Basis dieses Selbstverständnisses war der Verein Schloss Hartheim seit 1995 bemüht, die Widmung des Schlosses zu verändern. Ziel war es, aus dem Schloss einen Ort zu machen, der sowohl als Gedenk- wie als Lernort seiner historischen wie seiner gegenwartsbezogenen Rolle gerecht werden könne. Nach intensiver Vorarbeit gelang es 1997, das Land Oberösterreich zu bewegen, die vollständige Renovierung für das denkmalgeschützte historische Ensemble von Schloss und Wirtschaftsgebäude Hartheim und die Finanzierung der Neuerrichtung der Gedenkstätte und einer Ausstellung des Landes zum gesamten Komplex der Fragen der NS-»Euthansie«, seiner Vorgeschichte wie der Entwicklung nach 1945 bis zur heutigen Diskussion zu übernehmen. Auch für die ca. 25 Mietparteien im Schloss wurde mit Hilfe des Landes eine Lösung gefunden. Finanziert über die Landeswohnbauförderung wurde für die Bewohner ein Ersatzgebäude errichtet. Ende 1999, Anfang 2000 begannen dann die Bauarbeiten am Schloss und die Arbeit am Ausstellungsprojekt »Wert des Lebens«. Das Ausstellungsprojekt wird von Prof. Dr. Josef Weidenholzer und Dr. Brigitte Kepplinger vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Johannes Kepler Universität in Linz angeführt; die Ausstellungsgestaltung liegt bei Martina Kornfehl und die künstlerische Gestaltung der Gedenkstätte bei Herbert Friedl, einem oberösterreichischen Künstler.

Ausgangspunkt für das Austellungsprojekt »Wert des Lebens« und die Gedenkstätte ist der nationalsozialistische Massenmord an körperlich und geistig behinderten und psychisch kranken Menschen, die sogenannte »Euthanasie«-Aktion der Jahre 1940 bis 1944. Die Thematik greift aber über den Nationalsozialismus hinaus. Ziel ist es zu zeigen, dass Gegenwart ohne die Erinnerung an die Vergangenheit nicht denkbar ist und Fragen der Zukunft hier ihren Ausgangspunkt haben. Daher sollen auf vielfältige Weise die unterschiedlichen Zugänge zum Phänomen Behinderung in den einzelnen geschichtlichen Epochen und heute deutlich gemacht werden: Ein besonderes Ziel des Ausstellungsprojektes ist es, dem Besucher klar zu machen, dass es auch von der Haltung und vom Handeln jedes Einzelnen heute abhängt, welche Richtung zukünftige Entwicklungen nehmen.

Die eigentliche Gedenkstätte wird durch die historischen Räume der »Euthanasie« gebildet. In der Auseinandersetzung um ihre Gestaltung hat man sich letztendlich dafür entschieden, auf jede Rekonstruktion und auf Rückbauten wie Ergänzungen zu verzichten. Stattdessen soll durch die künstlerische Gestaltung eine behutsame und nüchterne Präsentation der Räume die Möglichkeit zu Annäherung und Auseinandersetzung geben. In seinem Konzept hat der beauftragte Künstler, Herbert Friedl es als sein wichtigstes Anliegen beschrieben, durch die Gestaltung einen Erinnerungsprozess in Gang zu halten.3 Erinnern bedeute ihm aber auch ein allmähliches Schwinden, ein Abstrahieren des Geschehenen. Es bedinge das Schaffen einer neuen Wirklichkeit, die in Distanz zum realen Geschehen stehe. Darauf habe er das Gestaltungskonzept aufgebaut. Ziel sei nicht die Rekonstruktion der Einrichtungen bzw. Ereignisse oder gar deren Inszenierung, sondern mittels einer abstrahierten Gestaltung die Geschehnisse ins Gedächtnis zurückzurufen.

Die Gedenkräume und -bereiche sollen sich nach diesem Konzept dem Besucher nicht als »dreiste, sentimentale, schmerzvoll befangene Denkmalstätte« präsentieren, sondern als »Leere«, die ein wichtiges Element des Konzeptes ausmache. Darüber hinaus möchte Friedl der Harmonie und der demnächst »wiedergewonnenen« Schönheit des Renaissanceschlosses »Irritationen« entgegensetzen, die unaufdringlich auf die Ereignisse verwiesen.

Der Weg der Opfer wird als »Gestaltungsspur« - von außen nach innen - bis in einen als interkonfessionellen Meditations- oder Andachtsraum gestalteten Raum gelegt. Als Materialien werden edelrostender Stahl für die zeichenhafte Markierung des Weges der Opfer, Glas als zerbrechliches Material zur Symbolisierung für die Opfer, Sandstein oder Kalkschiefer aus Deutschland als Bodenbelag jenseits des historischen Bodens sowie zur Markierung des Weges zementfarbener Estrich, der durch Metallstege gegliedert ist, gewählt.

Trotz dieser strengen gestalterischen Konzeption ergibt sich aber eine Vielzahl von Problemen, die mit den unsicheren und vieldeutigen Spuren in den seit 1945 vielfältig genutzten Räumen zusammenhängen. Mehrfache Untersuchungen seitens der Bauarchäologie wie von Kunsthistorikern und Historikern ergaben in etlichen Punkten keine letztlich eindeutigen Beweise für die verschiedenen Funktionen der Tötungsanstalt. So besteht u.a. ein Problem darin, dass der nach Zeugenaussagen in den Nachkriegsprozessen im Innenhof gestandene Kamin des Krematoriums praktisch ohne Spur ist. Der Abbau der Anlagen im Winter 1944/45 ist offensichtlich sehr gründlich erfolgt; dennoch bleiben Fragen, wenn vom anzunehmenden Fundament des Kamins nicht die kleinste Spur geblieben ist. Ähnliches gilt für andere Teile des Rückbaus wie der der Anlagen in der Gaskammer, von der z.Zt. das Fliesenbett und der Zulauf des Gasrohres eindeutig zu identifizieren sind. Die Verwaltungsräume sind durch die Nachnutzung von jeder Spur befreit, sind sie doch nach 1945 über Jahrzehnte durch Wohnnutzung mit mehrfachen Umbauten vollständig verändert.

Auch hinsichtlich der unmittelbaren schriftlichen Quellen bleiben viele Fragen offen, da direkt Hartheim betreffende schriftliche Zeugnisse in hohem Maße fehlen, sieht man von Transportlisten und schriftlichen Benachrichtigungen der Angehörigen sowie einzelnen anderen Quellen ab, wie sie u.a. im »Gedenkbuch Hartheim« dokumentiert sind. Es bleiben also weitere Forschungen notwendig. Um die Ergebnisse der bisherigen Forschungsarbeit zu sichern, wie zugänglich zu machen, wird eine eigene Dokumentationsstelle in Hartheim eingerichtet werden.

Nach den Vorstellungen des Vereins Schloss Hartheim sollen die beiden weiteren Stockwerke des Schlosses sowohl der Dokumentation wie der Forschung als auch der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Ethik und Pädagogik sowie der politischen Bildung gewidmet werden. Eine weitere Überlegung zielt auf die Einrichtung einer Galerie von Kunst und kreativer Arbeit behinderter Menschen, die eine Verbindung sowohl zur Ausstellung als auch zum Bereich der Bildung halten könnte.

Im Verein wird zur Zeit ein Konzept für diese künftige Nutzung entwickelt, wobei Gedenkstätte und Ausstellung des Jahres 2003 die Basis dafür bilden.werden.

Der Verein hat zur Erreichung seiner Ziele zwei Projekte, die sowohl aus Mitteln des Landes Oberösterreich, als auch aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur und der EU gefördert werden, initiiert: das »Gedenkbuch Hartheim«, in dem die Namen der Opfer »zurückgewonnen« werden und ein Forschungsprojekt zur »Geschichte der >Euthanasie< in Österreich«, das die wesentlichen Daten zum Komplex Hartheim dazu zusammentragen soll. Beide Projekte sind bis zum Jahr 2002/03 terminiert. Ihre Ergebnisse sollen sowohl in die Ausstellung als auch in die weiterführenden Konzepte einfließen.

Mit dem Ende der Ausstellung im Oktober 2003 wird der Verein Schloss Hartheim den Gesamtkomplex übernehmen und ihn als Lern-, Forschungs- und Gedenkort führen.

1 Zielsetzungen des Vereines Schloss Hartheim, unveröffentlichtes Manuskript (S. 1)

2 Die folgenden Ausführungen folgen dem Leitbild des Vereines (1999)

3 Vgl. Herbert Friedl: Konzept der Gedenkräume Schloss Hartheim (unveröffentl. Manuskript)

Weitere Informationen auf der Homepage des Vereins Schloss Hartheim: www.schloss-hartheim.at

Dr.Hartmut Reese erarbeitet im Projekt Hartheim die pädagogische und Bildungskonzeption und ist Geschäftsführer des Vereins Schloss Hartheim