Torgau


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Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau

Fort Zinna (Mitte) mit Seydlitzkaserne (Speziallager Nr.8, unten) und Zietenkaserne (Sitz des Reichskriegsgerichts, links). Aufnahme vom 20. April 1945. © Luftbilddatenbank Würzburg
Fort Zinna (Mitte) mit Seydlitzkaserne (Speziallager Nr.8, unten) und Zietenkaserne (Sitz des Reichskriegsgerichts, links). Aufnahme vom 20. April 1945. © Luftbilddatenbank Würzburg
Mit den beiden Militärgefängnissen »Fort Zinna« und »Brückenkopf« und dem Reichskriegsgericht, das im August 1943 von Berlin nach Torgau verlegt wurde, entwickelte sich Torgau während des Zweiten Weltkriegs zur Zentrale des Wehrmachtstrafsystems. Nach dem Ende des Krieges richtete die sowjetische Geheimpolizei NKWD im Fort Zinna und in der benachbarten Seydlitz-Kaserne die Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein. Im Lager Nr. 8 wurden Deutsche interniert; im Lager Nr. 10 deutsche und sowjetische Staatsbürger, die von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt waren, gefangen gehalten. Die DDR-Volkspolizei nutzte das Gefängnis Fort Zinna von 1950 bis 1990 für den Strafvollzug. In den fünfziger und sechziger Jahren saßen insbesondere politische Gefangene hier ein. Bis 1975 wurden in Torgau auch jugendliche Strafgefangene inhaftiert.

Das DIZ Torgau wurde 1991 als Verein mit dem Ziel gegründet, die Geschichte der Torgauer Haftstätten während des Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzungszeit und der DDR zu dokumentieren. Heute ist das DIZ Torgau Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft.

Da der zentrale Haftort – Torgau-Fort Zinna – als Justizvollzugsanstalt des Freistaats Sachsen genutzt wird, befindet sich das DIZ Torgau mit seiner Ausstellung nicht dort, sondern im Schloss Hartenfels.

Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau
Schloss Hartenfels
Schlossstraße 27
04860 Torgau

Tel.: (0 34 21) 71 34 68
Fax: (0 34 21) 71 49 32
E-Mail: info@diz-torgau.de
Torgau als Zentrale des Wehrmachtstrafsystems (1936 - 1945)

Ausschnitt aus einem US-amerikanischen Luftbild vom 18. April 1945. Die Aufnahme zeigt den sternförmigen Grundriss des Wehrmachtgefängnisses Torgau-Fort Zinna (rechts oben), die Seydlitzkaserne sowie die Zietenkaserne (links oben), in der von August 1943 bis April 1945 das Reichskriegsgericht seinen Sitz hatte. Luftbilddatenbank Ing-Büro Carls Würzburg
Ausschnitt aus einem US-amerikanischen Luftbild vom 18. April 1945. Die Aufnahme zeigt den sternförmigen Grundriss des Wehrmachtgefängnisses Torgau-Fort Zinna (rechts oben), die Seydlitzkaserne sowie die Zietenkaserne (links oben), in der von August 1943 bis April 1945 das Reichskriegsgericht seinen Sitz hatte. Luftbilddatenbank Ing-Büro Carls Würzburg
Der Händedruck des amerikanischen Second Lieutenants Bill Robertson und des sowjetischen Sergeanten Nikolaj Andrejew am 25. April 1945 auf den Trümmern der Torgauer Elbbrücke symbolisierte nicht allein den Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Begegnung bedeutete gleichzeitig das Ende für Torgau als Zentrale des Wehrmachtstrafsystems.

In Torgau befanden sich 1939 zwei von acht Gefängnissen der Wehrmachtjustiz: das Fort Zinna, von 1936 bis 1939 zum größten und modernsten Gefängnis der Wehrmacht ausgebaut, und das Gefängnis Brückenkopf. In die beiden Torgauer Gefängnisse wurden Verurteilte deutscher Militärgerichte, sogenannte »Träger wehrfeindlichen Geistes«, eingewiesen: Wehrdienst- und Befehlsverweigerer, Deserteure, der
»Wehrkraftzersetzung«, »Feindbegünstigung« und »Spionage« Angeklagte sowie wegen krimineller Delikte verurteilte Soldaten. Unter den Insassen der Gefängnisse waren außerdem Kriegsgefangene und Angehörige des deutschen und europäischen Widerstandes gegen das NS-Regime sowie in die Wehrmacht zwangsrekrutierte ausländische Staatsbürger, wie Luxemburger und Elsass-Lothringer.

Zentrale Bedeutung für das Wehrmachtstrafsystem erlangte Torgau, als das Oberkommando des Heeres (OKH) im März 1941 das Gefängnis Fort Zinna zur Überprüfungsstelle für Verurteilte bestimmte, die zum
»Bewährungseinsatz« ausgewählt waren. Diese besondere Funktion Torgaus als Prüfungs- und Verschiebestelle verstärkte sich noch, als das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) ein Jahr später die Aufstellung der Feldstraflager I und II in Torgau anordnete.

Seit August 1943 residierte zudem das Reichskriegsgericht, die höchste Instanz der Wehrmachtjustiz, in der Torgauer Zieten-Kaserne. Während des gesamten Krieges verhängte allein dieses höchste Gericht der Wehrmachtjustiz annähernd 1 400 Todesurteile, von denen ca. 1 200 - teils in Torgau, teils an anderen Orten - vollstreckt wurden. Unter den Opfern fanden sich unter anderen Wehrdienstverweigerer, vor allem »Zeugen Jehovas«, Angehörige der Widerstandsorganisation »Rote Kapelle«, französische und polnische Widerstandskämpfer, amerikanische Kriegsgefangene und deutsche Generale.

Je länger der von Deutschland begonnene Krieg dauerte und je aussichtsloser der Kampf wurde, desto drakonischer bekämpfte die NS-Militärjustiz die Kriegsmüdigkeit in der Wehrmacht und die wachsende Opposition. Mehr als eine Million deutscher Soldaten wurde von ihr verurteilt, 20 000 davon wurden hingerichtet. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum vollstreckten die westlichen Alliierten in ihren Reihen insgesamt ca. 300 militärgerichtliche Todesurteile.

Die Gesamtzahl der Erschießungen in Torgau läßt sich nachträglich nicht mehr exakt ermitteln. Aus den unvollständigen Unterlagen von Wehrmacht, Standesamt und Friedhofsverwaltung geht hervor, daß hier mindestens 197 verurteilte Wehrmachtangehörige erschossen wurden. Andere Quellen legen jedoch die Vermutung nahe, daß die Zahl der Hinrichtungsopfer tatsächlich erheblich höher war. Erschießungsstätten waren die Süptitzer Kiesgrube unweit des Reichskriegsgerichts sowie der nördliche Wallgraben des Wehrmachtgefängnisses Fort Zinna.

Nach dem Krieg kam es nur zu selten zur Verurteilung der Täter. Die Mehrheit der Richter am Reichskriegsgericht und andere verantwortliche Militärjuristen überlebten unbeschadet das Kriegsende und setzten in der Bundesrepublik ihre berufliche Karriere fort.