Durchgangslager Giebel

Lager

Giebel Germany

Durchgangslager des Arbeitsamtes Wuppertal

 

Ab 1940 wurden die Baracken als (städtisches) Kriegsgefangenlager für 1.200 Personen genutzt und mit französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen belegt. Anfang 1942 wurde es auf Wunsch des Arbeitsamtes geräumt, „weil es mit Russen belegt werden“ sollte. Im Frühjahr 1942 ordnete das zuständige Landesarbeitsamt Köln die Nutzung als regionales Durchgangslager an. Das Durchgangslager Giebel wurde damit eines von 50 reichsweiten Durchgangslagern, über die ZwangsarbeiterInnen und politische Gefangene zur Zwangsarbeit in die jeweiligen Gaue verteilt wurden. Die Lebensverhältnisse am Giebel waren menschenverachtend, wie zahlreiche Berichte von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen belegen. Verantwortlich für die Lagerführung und die Lebensverhältnisse war damit das Gauarbeitsamt in Düsseldorf und das Arbeitsamt in Wuppertal. Die Bewachung wurde von der Wachschutz-Firma Hagen übernommen. In dem als Durchgangslager gedachten Lager starben mindestens 109 Menschen, davon waren allein 40 Kinder. Bereits bei der Ankunft wurden die Deportierten drangsaliert, mit Hunden bedroht und z.T. geschlagen. Aber nicht nur die deutschen Wachleute und ausländischen Hilfskräfte misshandelten und terrorisierten die ZwangsarbeiterInnen. Auch der Lagerführer selbst, ein gewisser Fritz Pfeil vergriff sich persönlich an den Zwangsarbeiterinnen und zwang mehrere russische Frauen zum Geschlechtsverkehr. Pfeil wurde im Januar 1943 von der Gestapo festgenommen und musste 3 Monate ins KZ Sachsenhausen, die betroffenen Frauen wurden „ aus dem Lager entfernt und finden jetzt im Polizeipräsidium Wuppertal als Reinigungskräfte Verwendung,“ heißt es lapidar in der Gestapoakte. In der Regel wurden die ArbeiterInnen nach einigen Tagen wie auf einem Sklavenmarkt an örtliche Unternehmer, Geschäftsleute und Bauern „verkauft“ oder in andere Städte des Gauarbeitsamtsbezirks Düsseldorf, aber auch bis nach Köln und Bonn „verteilt“. Ein Großteil der Niederländer, die erst Ende 1944 von der Wehrmacht bei den großen Razzien in Rotterdam, Limburg und Roermond ergriffen und nach Wuppertal deportiert worden waren, kamen zum „Arbeitseinsatz“ weit weg von der niederländischen Grenze im Raum Salzgitter und Lehrte zum Einsatz, wohl um Fluchten zu erschweren. Die ArbeiterInnen mussten sich einer „Desinfektiomn“ und (ärztlichen) Begutachtung unterziehen und wurden dann auch zu Arbeiten bei der Enttrümmerung der bombardierten Städte oder bei Entladungsarbeiten eingesetzt. Berichte von ZwangsarbeiterInnen „Als wir in Deutschland ankamen, wurden wir im Lager „Giebel" in Wuppertal untergebracht. Zuerst wurden in dieses Lager so viele Ostarbeiter getrieben, dass es keinen Platz mehr zum Liegen gab, wir konnten nur sitzen, einer neben dem anderen, dann wurden wir in Baracken untergebracht, die aus Holz und lang waren, wir schliefen zu zwei Personen auf blanken Pritschen in drei Stöcken, der Raum wurde nicht geheizt, und wir wuschen uns in einem Flüsschen [Bach?], (…) an den Füßen trugen wir Holzschuhe und unsere Kleidung hatte auf der Schulter oder am Ärmel die Aufschrift „OST". Das Lager war dreireihig mit Stacheldraht umzäunt, durch den Strom floss, da standen Polizisten, die uns ständig schlugen, aber unter unseren Ostarbeitern waren Mutige, die aus dem Lager flohen, aber sie wurden alle gefangen und in ein Konzentrationslager gesteckt, wir haben nichts mehr von ihnen gehört und sie bis heute nicht wiedergesehen. Als wir im Lager Giebel waren, arbeiteten wir bei der Trümmerräumung in Wuppertal, Elberfeld, Vohwinkel, Remscheid, Barmen, Oberbarmen u.a. Nach Bombardierungen räumten wir Ruinen, reparierten Straßen und Straßenbahnen. Während der Bombardierungen wurden wir nicht in den Bunker gelassen, die Bewohner selbst schlugen uns, trieben uns hinaus und brüllten uns an „Jude".“ U062 „Das war wirklich ein Drecksloch, und nach ein paar Tagen waren wir völlig verlaust“, so der ehemalige Zwangsarbeiter Wiel Tulmans in seinem Tagebuch. Der Niederländer Tulmans wurde als 14 jähriger – zusammen mit etwa 3.000 Leidensgenossen - von der Wehrmacht bei den sog. Kirchenrazzien im Oktober 1944 in Limburg gekidnappt und nach Wuppertal deportiert. Der Pater Marcel Noten, der 1944 aus Nijmegen deportiert wurde, berichtete: „Am Giebel“ kamen wir in ein großes Lager. Ich war von jetzt an Nummer 999. Da bekamen wir nach drei Tagen etwas zu essen. Aber es war nicht zu essen. Die Schweine hatten es besser als wir. Aber die tausenden von Russen im Lager aßen unser Essen gerne mit auf. Nach zwei Wochen waren auch wir soweit. Mit 20 Leuten wohnten wir in einem kleinen Zimmer. Decken gab es nicht. Und frische Wäsche hatten wir nicht. Ins Lager kamen Sklavenhändler und nach drei Wochen wurden wir als Eisenbahnarbeiter verkauft. Wir sollten in Vohwinkel am Verschiebebahnhof arbeiten“ (Schnöring, Stunde Null, (S.84-85.) „Unter Bewachung wurden wir nach Deutschland gebracht, direkt nach Wuppertal, da war ein großes Verteilungslager, sehr große Baracken, Pritschen in 4 Etagen, zu essen bekamen wir einmal täglich. An diese große Stelle kamen Fabrikanten und Bauern. Die Bauern hatten die Auswahl wie beim Vieh auf dem Markt. Und den Fabrikanten wurden sie in Reihen aufgestellt und abgezählt, wie viele Personen der Fabrikant forderte. Und so hatte ich großes Glück, dass wir in die Reihe gestellt wurden und der Fabrikant nicht bemerkte, dass mir das linke Auge fehlte, und so hatte ich es schwer in der Abteilung an der Fräsbank zu arbeiten.“ (U155) „Wir kamen in einem Verteilungslager an, es hieß „Giebel“. Es befand sich in „Wuppertal“. Wir durchliefen dort alle Prüfungen, alle Desinfektionen, viele Menschen starben dort, sie konnten das nicht aushalten, wer ein schwaches Herz hatte, starb. Wir waren 10 Tage dort. Dorthin kamen Bauern, Werks- und Fabrikbesitzer. Wir wurden in Reihen aufgestellt. Sie gingen vor uns her und suchten sich Leute aus, wer ihnen gefiel.(...) Und so wurden wir, Papa, Mama, meine Cousine und ich, und viele andere Menschen ausgewählt. Ein Fabrik-Besitzer (…) nahm uns mit, wir waren etwa 50 Personen. Wir gingen zu Fuß, aber es war nicht weit. Er brachte uns in ein Lager, das „Jaeger“ hieß.“ U168 „Wir hatten es bereits aufgegeben, die Tage zu zählen, aber da hielt der Zug an, die Wagentüren, die lange nicht geöffnet worden waren, gingen endlich auf. Deutsche Wache rannten von einem Wagen zum anderen und schrieen irgendetwas. Wir nahmen unsere Sachen und bewegten uns in Reihen über die Schienen zum Quarantänelager „Giebel", ich weiß nicht, wer es so genannt hat, dieses Lager war am Stadtrand von Wuppertal im Bezirk Sonnborn. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt und in der Mitte war ein langes Gebäude, einem Kuhstall ähnlich, mit Zementboden, es gab keine Türen, die Zementböden waren stellenweise mit Stroh bedeckt. Es war sehr kalt, auf dem Zementboden zu schlafen. Die dünne Schicht Stroh schützte nicht vor der Kälte des Zements, man musste alle zehn bis fünfzehn Minuten die Seite wechseln, mal die eine, dann die andere dem Zement aussetzen. (…) Mit dem Essen wurde es ganz schlecht, wer etwas von Zuhause mitgenommen hatte, hatte es am ersten Tag nach der Ankunft auch schon aufgegessen. In die Arbeitsbrigade zum Kohlenausladen bei der Eisenbahn kamen nicht viele, aber sie erhielten für ihre schwere Arbeit einen Apfel oder manche auch ein paar Kartoffeln, Konstantin hatte auch hier Glück, er kam zweimal in die Arbeitsbrigade, aber er kam ausgelaugt und erschöpft zurück und hatte noch mehr Hunger. Im Lagerhof wurde in Kesseln auf Feuern das gekocht, was Einzelne beschafft hatten.(...) Im Lager waren viele Menschen, eine Gruppe wurde weggeschickt, da traf schon einen neue ein. Endlich kam auch unser Tag, an dem wir durchgefroren, ausgehungert und erschöpft in den entgegengelegenen Teil der Stadt verlegt wurden, in den Stadtteil Barmen.“ U172_02 Die erste Nacht Dass Zufallsfaktoren und Willkür schon bei der Ankunft in Wuppertal-Varresbeck eine entscheidende Rolle in der Schicksalsfügung spielten, entzog sich wahrscheinlich eines jeden Beobachtung. Wer in Roermond oder einer anderen Station an der Strecke nach Venlo eingestiegen war, gehörte zu den ersten, die aus dem Zug durften. Kaum waren sie durch das Lagertor gegangen, als einer der Hunde einen Jungen fasste, der sich nach Ansicht der Bewacher nicht genug beeilte. Etwas weiter lag ein lang gestreckter zweistöckiger bau aus Stein: „In den Baracken ist es furchtbar schmutzig und kalt. An Wanzen kein Mangel. Mit 25 bis 30 Mann werden wir in Räumen von 4 x 5 Metern untergebracht. Was uns auffällt, sind die zahllosen Blutflecken. Ein Strohsack oder etwas Ähnliches fehlt. Deshalb versuchen wir, mit einer zusammengerollten Jacke als Kissen auf dem Betonboden zuschlafen, was für einige Stunden wohl geht, vor allem, weil wir vom Schlaf übermannt werden.“ Nachdem die erste Gruppe abmarschiert war, kamen die an die Reihe, die in Venlo in den Zug gestiegen waren. Für sie blieb nur ein Holzschuppen in einem anderen Lagerteil übrig. In dem stockdunklen Schuppen war die Luft stickig und ekelhaft. Mehr als tausend Männer wurden hineingejagt, danach ging der Riegel zu. Alles war pottdicht, keine Lüftung, nichts! Schulter an Schulter standen sie, Hocken war so gut wie unmöglich. Durch die erstickende Enge verloren manche das Bewusstsein. Dr. L. Smeets aus Panningen drang mit Nachdruck darauf, vor allem nicht zu rauchen und die Ruhe zu bewahren wegen der begrenzten Menge an Sauerstoff. Aus schlafen und ruhen wurde natürlich nichts. Dafür wurde intensiv gebetet und gegrübelt, über Zuhause, darüber, was kommen würde. Und dann war da die beklemmende Angst: „Wir dachten wirklich, sie würden uns vergasen. Ich sehe noch durch das Barackenfenster die Soldaten und die Hunde, die uns bewachten. Später hörte ich Soldaten zueinander sagen, dass wir Partisanen seien.“ Lagerregime Quälend langsam krochen die Stunden dahin. Als die Türen endlich aufgeschlossen wurden, war der Morgen schon ein gehöriges Stück vorgerückt. Das Gefühl von Erleichterung hielt noch keine Minute an. Lagerleben und Tagesroutine ließen solche Empfindungen nicht zu. Unter wüstem Gebrüll und Geschimpfe der Bewacher – überwiegend ukrainische Freiwillige – mussten alle antreten. Diesem Drecksvolk war offensichtlich alles daran gelegen, bei den deutschen Vorgesetzten einen Stein im Brett zu haben. Grauenhafte Szenen spielten sich ab. Feixend sahen sie zu, wie ein Hund einen polnischen oder russischen Gefangenen fürchterlich zurichtete. Den beiden limburgischen Gruppen – der Unterschied zwischen den Männern aus dem nördlichen und dem südlichen Sektor blieb gewahrt – hielt der „Lagerführer“ eine kurze Rede. Er stellte ihnen eine Behandlung als freie Niederländer in Aussicht, mit Rechten und Verpflegung wie die Deutschen. Wer inzwischen den Wert solcher Zusagen aus dem Mund von Nazis schätzen gelernt hatte, wusste, dass dieser Schurke das Gegenteil meinte. Hygiene Waschgelegenheit kannte das Lager nicht, wohl eine Latrine: „Solch eine Schweinerei habe ich nie gesehen, und einen derartigen Gestank habe ich noch nie im Leben gerochen. Wenn du reinkamst, fielst du so was von um von der Luft, die da hing.“ Jeder machte damit Bekanntschaft: „Die fürchterliche Latrine bestand aus einer langen Rinne, ungefähr anderthalb Meter breit und einen halben Meter tief. Darin lag der Kot von mindestens zwei Jahren. Jeder Tritt, den du machtest, war in Kot und Urin. Über zwei Meter Länge waren Pfähle in den Boden geschlagen und in Höhe von einem halben Meter ein runder Balken draufgeschlagen, zu schmutzig, um darauf zu stehen, geschweige denn zu sitzen. Auf jeder Seite war Platz für zehn Mann. Auf Kommando mussten wir allesamt die Hosen herunterlassen für die eventuelle Notdurft. Bei den meisten ging es von selbst wegen der Angst.“ Letzteres galt nicht für einen Jungen, der etwas mehr Zeit brauchte. Er wurde von einem Hund angefallen. Ein Tag in „Am Giebel“ Diejenigen, die die Nacht in der Steinbaracke verbracht hatten, standen Stunden für einen halben Liter wässrigen Ersatzkaffee in der Schlange. Über Lautsprecher wurden sie dann aufgefordert sich noch einmal anzustellen; diesmal um Bandwirker, Schmiede, Monteure und Chauffeure, Fachleute, um die man die man verlegen war, zu rekrutieren. Dutzende von Männern meldeten sich. Sie wurden auch sofort mit LKWs in einen der Wuppertaler Stadtteile oder in regionale Industriezentren wie Solingen, Leverkusen oder Köln gebracht. Die Männer aus dem nördlichen Sektor waren inzwischen in die Steinbaracke eingezogen. Weil weiter nichts verlangt wurde, war Zeit, um sich im Lager etwas umzusehen und ein wenig auszuruhen. Obwohl nahezu alle notwendige Versorgung fehlte, verfügte „Am Giebel“ über eine Kantine, wo man für eine halbe Reichsmark ein Glas beir trinken konnte. Ein irrsinnigerer Kontrast war kaum denkbar, aber was für eine Rolle spielte das? Bier schmeckte in jedem Fall besser als das ekelhafte „Trinkwasser“. Das Gelände stand voll mit Holzbaracken, hauptsächlich von Polen und Russen bewohnt. „Breite Straßen führen durch das Lager, auf denen es von Menschen jeden Schlags wimmelt: Jung und Alt, beiderlei Geschlecht und allerlei Nationalitäten.“ Dass die Lebensumstände erbärmlich waren, war an den Gesichtern derer abzulesen, die schon länger da waren. Vor allem die Russen sahen ausgemergelt aus. In Anbetracht der Menge, Qualität und Zubereitung der Speisen konnte das kaum anders sein. Kurz nach Mittag durften die Männer erneut in die Schlange. Die Austeilung des „Lagerfutters“ enthielt eine nächste Offenbarung. Das im Freien verzehrte Gebräu hieß Kohlsuppe: eine Portion warmes Wasser, in dem Kohlblätter herumschwammen, und für den, der Glück hatte, eine zufällige Kartoffel. Das Ganze war mit etwas abgeschmeckt, was man mit Anis, Pfeffer oder Vogelfutter umschreiben konnte. Dass Geschmäcker verschieden sind, erwies sich einmal mehr. Während viele es kaum durch die Kehle kriegten, ihre Portion wegschütteten oder Mühe hatte, die ungewaschenen Schüsselchen mit anderen teilen zu müssen, fanden andere es besser als erwartet. Mancher aß sein letztes mitgenommenes Butterbrot. Registrierung und erste Teilung Nach der Suppe erschein ein Mitarbeiter des regionalen „Arbeitsamts“, um jedermanns Beruf zu notieren. Jemand, der schon früher in Deutschland gearbeitet hatte, flüsterte seinen Schicksalsgenossen zu, sich als Bandwirker registrieren zu lassen. Nach seiner Meinung bot das die besten Überlebenschancen. Wer seinen Rat befolgte, bekam eine orangerote Karte mit einem blauen S für „Schlosser“ (Bandwirker). An Metallarbeitern, Chauffeuren und Handwerkern wie Schuhmachern und Sattlern bestand großer Bedarf. Die Männer aus Kronenberg, Baarlo, America und anderen Orten ließen das Ritual an sich vorbeigehen. Sie hatten vereinbart, sich nicht zu trennen und verschwiegen ihren wirklichen Beruf, soweit das eine mögliche Tarnung bedeutete. Niemand Geringerer als Baron De Weichs de Wenne hatte den Baarloern übrigens zugesagt dafür zu sorgen, dass sie allesamt auf Gestüten beschäftigt werden sollten. Über seine deutschen Verwandtschaften und Beziehungen würde das zu regeln sein. Im Lauf des Nachmittags fuhren die ausgewählten und ausgesonderten Männer auf LKWs zu ihrem neuen Ziel in Wuppertal und Umgebung. (zitiert aus Spuren, die bleiben. Razzien und Deportationen im Herbst 1944 in Nord- und Mittel-Limburg Dr. A.P.M. Cammaert Auszugsweise übersetzt aus dem Niederländischen von Irmgard Knies)