Emil Löhde

Wuppertal-Elberfeld, Deutschland
gestorben: 
12. Mai 1943 Wuppertal
Opfergruppe: 
Beruf: 
Emaillierer

Kein Einzelfall

 

Die Lebensgeschichte von Emil Löhde, der am 21.08.1893 in Elberfeld geboren wurde und am 12.05.1943 an den Folgen der unmenschlichen Haft verstarb, ist eine tragische. Sie ist eine von vielen Leben, die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Oder anders gesagt, verdienen sie es nicht vergessen zu werden!

Nachdem Emil Löhde 1914-1918 als Soldat des Kaiserreiches die Urkatastrophe des 1.Weltkrieges durchleben musste, wurde er nach dieser Erfahrung politisch aktiv und setzte sich sowohl nach 1918 in der instabilen Weimarer Republik als auch nach 1933 nach der Machtergreifung der NSDAP für den Frieden und eine friedliche Haltung Deutschlands ein. Hierzu trat er vorerst der SPD bei, da diese sich für eine friedliche Haltung stark machte und als Erzrivale der NSDAP galt. Da die Sozialdemokraten als einzige die Gefahr hinter Hitler erkannten und als einzige 33 gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten, welches ihm diktatorische Vollmachten verleihte. Löhde war sich wie viele seiner Parteigenossen bewusst, dass Hitler Krieg bedeutete und war energisch in seiner Bestrebung die Masse darin aufzuklären. Das brachte ihn natürlich in Konflikt mit dem 3. Reich, das 1933 alle Parteien verbot und somit alle Parteimitglieder, die nicht freiwillig der NSDAP beitraten, zu Hochverrätern machte. Löhde, der einen Beitritt in die NSDAP und die Niederwerfung unter diese Ideologie des Hasses strikt ablehnte, wurde im Mai 33, wie viele andere Sozialdemokraten in ein Konzentrationslager inhaftiert. Im Arbeitslager Kemna verbrachte er dann die nächsten 7 Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen mit dem Status eines politischen Schutzhäftlings. Im Dezember wurde er entlassen und schloss sich der KPD an. Kurze Zeit später jedoch, im Jahre 1935, wurde er zuerst in das Zuchthaus in Münster und daraufhin nach Werl eingewiesen. Dort war er dann bis 1938 inhaftiert. In diesen Lebensabschnitt fällt auch seine Verurteilung in Hamm durch das Oberlandesgericht am 18.1.1936 wegen der angeblichen Vorbereitung des Hochverrats, da allein die Tatsache, dass man einer anderen Partei als der vorherrschenden NSDAP angehörte, als Hochverrat angesehen wurde. Der Prozess in Hamm verlief nach Aussagen der Tochter Marianne Löhde unter menschenunwürdigen Zuständen. Die Angeklagten sollen in ihren Zellen geprügelt worden sein. Des Weiteren soll der Besuch von Verwandtschaft, ohne Angaben von Gründen, untersagt worden sein. Dies erfüllte den Zweck die Angeklagten psychisch wie physisch unter Druck zu setzten. Geschunden kam Löhde 1938 wieder auf freien Fuß. Zurück bei seiner Familie konnte er diese weder ernähren noch unterstützen, da er aufgrund seiner Vergangenheit keine Arbeit fand. Die Familie hielt sich durch die Unterstützung der Wohlfahrt und Nebenjobs der Mütter über Wasser. Die Last, die auf Emmi (Ehefrau) und Marianne (Tochter) lag, ist kaum vorstellbar. Noch Jahre nach dem Krieg ist sie auf ihren Schultern zu spüren. Doch trotz aller Strapazen gab Emil Löhde nicht auf. Er publizierte und verteilte Flyer, die die Bevölkerung aufrütteln sollten und versuchte so viele Leute wie möglich aufzuklären. Ein Jahr nach Löhdes Entlassung, im September 1939, riss Hitler Deutschland und die ganze Welt in einen neuen monströsen Krieg. Löhdes Befürchtungen bewahrheiteten sich. Seine Bemühungen schienen umsonst gewesen. Abermals gab er die Hoffnung jedoch nicht auf. Verstärkte seine Aktivitäten gegen das 3.Reich mitten im Weltkrieg, in dem Nazideutschland ganz Europa überrannte. Die Masse war jedoch nicht empfänglich für Löhdes Wachrütteln. Das deutsche Volk war in einer euphorischen Stimmung. Erstaunt über die siegreichen „Blitzkriege“ des „Führers“ waren sie blind, stumm und taub. Als dann die Wende im Krieg, nach der vernichtenden Niederlage für die Deutschen 1942 in Stalingrad, eintrat, wurde Löhde nach knapp 5 Jahre auf freiem Fuß erneut inhaftiert. Es sollte seine letzte Gefangennahme sein. Die Gestapo misshandelte ihn, wovon er schwere seelische wie körperliche Verletzungen davontrug, denen er letzten Endes 1943 erlag. Er selbst erlebte die Entnazifizierung nicht mehr mit.

In unserem Interview mit der Tochter Marianne Löhde können sie sich einen Einblick in ihre Erlebnisse verschaffen, einen Eindruck von Emil Löhde gewinnen und uns helfen ein Stück der Vergangenheit in unsere Gegenwart zu transportieren, um am Prozess der Erinnerung teilzuhaben, damit so etwasW nie wieder geschieht!

Özlem Eryigit und Ramon Külpmann

 

Transkription Teil 1.

M.L.: Marianne Löhde

I.: Interviewer

M.L.: … war´n halbes Jahr alt und ist daran verstorben weil es die entsprechenden Medikamente damals noch nich so gab. Und dann wurde ich geboren 2 Jahre später. Dann tauchte bei uns der evangelische Pastor auf. Dann hat er zu meinem Vater gesagt: ‚Wollen sie das Kind nicht besser taufen lassen? Sie haben doch schon eins verloren.‘ Mein mein Vater hat Rot gesehen. Er hat die Türe aufgemacht und gesagt: ‚Da wo sie reingekommen sind, da gehen sie aber schnellst möglichst wieder raus. Mit solchen Argumenten können sie aber keine Leute überzeugen.‘ Ne, zu sagen weil sie das eine Kind verloren haben, müssen sie dat andere taufen lassen.

I.: Ja am Anfang würden wir sie gerne erzählen lassen. Und zwar dann halt mit der Frage: Wie haben sie ihren Vater in Erinnerung?

M.L.: Den hab ich immer gut in Errinnerung . Weil der hat mich nämlich meistens immer mitgenommen. Wenn er Sonntags morgens zum äh singen ging. Der war im freien, in der freien Sänger, das war´n Gesangverein. Und dann wurd ich immer mitgenommen. Dann sachte er: ‚Äh ich nimm das…‘ Ich ja… ich ging mit. Und dann haben die geprobt oder sie sind schonmal in Krankenhäuser gegangen und haben wenn einer von Bekannten oder Genossen in Krankenhaus lach, haben sie im Krankenhaus dann Ständchen gebracht. Und dann, ich bin dann mit. Und äh dann wieder nach Hause kam meine Mutter hat dann Mittagessen gemacht dann sacht: „Wir dürfen aber nich später kommen, wir müssen um ein Uhr wieder Zuhause sein, sonst fängt die Mutter an zu schimpfen.“ Das hat er dann hat , aber meine Mutter, die wusste schon der Vater macht nich irgendwelche Sachen, sondern er ging Sonntags Morgens gerne eben proben mit dem Gesangverein ne.

M.L.:Ja so bin ich ihm auch in diesem äh unter diesem Kreis der Genossen bin ich groß geworden ne.

M.L.: da haben wir Wanderungen gemacht zu Feiertagen zum Beispiel. Dann das war immer angesagt, ob das zweiten Ostern war oder zweiten Pfingsten. Dann wurden große Wanderungen gemacht, und da sind wir alle mit ne.

I.: Also große Freizeitaktivitäten dann auch mit?

M.L: Wie bitte?

I.: Also große Freizeitaktivitäten dann?

M.L.: Ja das waren eigentlich äh de große Freizeitaktivitäten, das waren Zusammenkunft der Leute, die sich kannten aus dem Gesangverein, zum Teil auch waren sie Mitlieder der Partei, viele waren in der SPD es gab viel einige, die auch in der KPD waren ne , also sie hatten gemeinsame Interessen ne.

I.: Ja ja

M.L.: Und dadurch kam auch solch ein außergewöhnliches sagen wir mal außer äh jaa so außerhalb der in der Freizeit selbstverständlich kamen dann auch solche Begegnungen zustande ne. Da kannte einer den andern ne.

I: War auch aus aus der, aus der Kolegschaft dann?

M.L.l: Und ja ich, ich schwör dir ich äh hab auch noch so ne sch eigentlich sehr schöne Aufnahme von einer solchen Wanderung. Da stehen sie alle an der Seite. Ich find das Bild nur nich. Ich guck nachher nomal nach, ob ich das Bild nich doch noch finde.

M.L.: Da stehen nämlich die Leute alle an einer Seite und 2 Mädchen die stehen immer vorne. Das war dann meine Freundinn, d-deren Eltern auch äh mit der Wanderung immer dabei waren. Der Vater und die Mutter auch. Und i mein der Vater war auch im Gesangverein und wir zwei standen immer, wir waren die einzigsten Mädchen in dem Alter so mit 10, 11 Jahren und wir standen dann immer davor und machten die Repräsentation ne, weil wir uns immer nach vorne gepfuscht haben ne. Also das war immer sehr schön.

M.L.: Das hat man gerne in Erinnerung.

I.: Um sich ein besseres Bild von ihrem Vater, also von Emel Löhde zu machen. Was für ein Mensch war er? Was für eine Vorstellung hatte er vom Leben? Welche Träume hatte er, die er verwirklichen wollte?

M.L.: Ja äh Träume äh er eigentlich würd ich sagen hat er nicht gehabt. Er hat die Realitäten, die waren, die auch politische Realitäten waren, die hat er wohl sehr eingeschätzt ne. Dass er auch immer gesacht hat äh die Arbeiter müssen, er hatte nämlich an dem ersten Weltkrieg teil-ge-nehmen müssen ne, würde er eingestellt und hatte aus diesem Kriech äh ein Kriegsleiden mitgebracht . Er hatte, wie man heute sagen würde, Lungenasthma nicht. Er kriechte dann keine Luft und musste dadurch auch immer entsprechende Medikamente nehmen. Ja, aber so ist er auch, und das war seine erste äh sagen wir mal so gesellschaftliche …, wie man das heute sagen würde, war der Gesangverein. Und in diesem Gesangverein der hieß „Freie Sänger“ nich da haben sich die Leute dann getroffen, haben auch miteinander politisiert und sich auch äh waren sich auch im Klaren darüber was aus dem äh das aus Deutschland werden würde, wenn Hitler an die Macht kam.

I.: Also hatten die schon ne Vorahnung vor dem, was da passieren kann?

M.L.: Ja, das wussten, sie wussten ja genau, sie kannten ja da den das Geschrei und Getue von Hitler ne.

I.: Ja, ja .

I.: Wie haben sie denn die Zeit des Nationalsozialismus so mitbekommen?

M.L.: Ja wir ha-, ich hab den ja hautnah erlebt ne, dann äh, das war ja äh der 30. Januar 1933 und das war Anfang Februar oder März, da standen die SS die SA vor unserer Haus, vor unserer Zimmertüre, wir hatten eine kleine zwei Zimmerwohung ne. Ich schlief in der Küche auf soner Couch, und meine Eltern im Schlafzimmer. Mehr war nich da ne, auch finanziell konnte man sich ne größere Wohnung damals als Arbeiter ja nicht erlauben. Und da ging morgens, morgens früh um 6 Uhr die Türe geklopft, da draussen aufmachen ne. Und da standen dann 3 S-SA Männer und 2 Polizisten vor der Tür und wollten Hausduchsuchungen machen. Wo und dann hat der andere von den Polizisten mein Handgelenk ergriffen und hat gesacht: „ Und du zeigs mir mals jetzt wo dein und gehst mir mit in Keller“, meine Mutter gesagt : ‚Das lassen mein Vater sofort dass lassen sie sie sein, meine Tochter ist gerade 10 Jahr, noch keine 10 Jahre alt die bleibt hier.‘ Da haben sie sich nicht dran gestört, der nahm mich bei der Hand und da musste man noch so ne Petroliumslampe mitnehmen, da unten im Keller war ja kein Licht. Ja gut, ich bin dann mit diesem äh dicken, war son dicker Mann, der mit dem bin ich dann in Keller gegangen und und am Keller packt der mich am Handgelenk und sagt er: ‚Nun zeigst du mir mal wo dein Vater Waffen versteckt hat.‘ Ich sach: ‚Waffen, was ist das?‘ Ja´n Schießgewehr und so hat der mir dat noch vorgemacht, warn für mich böhmische Dörfer. Und da sach ich: ‚Ja es heiß, da müssen sie mal die Briketts wegmachen.‘ Da standen de Briketts aufgestapelt ne, und und Kohlen. Wir kriechten ja, damals hatte man son Kohlenofen ne, und ja ich ich war vollkommen w-wirr, da hab ich gesagt: „Ja da muss man die gar, wenn sie meinen, da muss man die Briketts da wegmachen ne. Ja da hat er aber nich gemacht, da dat war ihm dann auch zu dreckich ne. Und dann haben da wieder abgeschlossen und wieder nach oben. Ja und dann hatten wir auf der Etage da warn ja in den Arbeiterwohungen, da warn 2 Zimmer und mehr war das nich dem auf der halben Treppe war ne Toilette. Und da sah ich, und die wurde von 2 Mieterfla…, da so ein auf einer Etage wohnten 2 Familien ne. Und die wurden von den 2 Familien wurde die Toilette benutzt ne. Da sach der: ‚Ja, da müssen wir aber die Toilette nachsehen.‘ Ja ich sach: ‚Ja dann müssen wa den Schlüssel und dann müssen se aufschließen.‘ Ja dann gucken wir in der Toilette da rein, ja da war da nix ne, dert Papier und sowat, da mussten sie sich dann immer selber nehmen, da hing ja keine Rolle Papier. Dat musste man sich ja selber mitnehmen. Ja und dann ging er wieder mit mir halbe Treppe, wieder mit mir rauf und dann hatte er alles rausgeholt und so haben aus dem Schlafzimmer. Da warn´n paar Jahre vorher warn der Vater von meinem Vater, der war gestorben und der Opa hatte auch, von den äh, der war noch in der SPD glaub ich, der Opa, und da hatte der bei der Beerdigung Kränze bekommen, und da warn mit rote Schleifen dran, und auf diese roten einfachen Schleifen, die haben die mitgenommen. Blöd ne, so konnten zwar nix mit anfangen, und dass hat man wenn mans auch so jetzt wieder erzählt, dass seh ich im Grunde genommen bildlich vor mir, wie der da an der Tür an dem Schrank da stand und die Sachen da rausnimmt an dem Kleiderschrank ne . Und diese, diese Schleifen da raussortiert ne. Also.

I.: Sie waren damals 10 Jahre alt, wie alt war ihr Vater damals?

M.L.: Ja können se ausrechnen, der is geboren glaub ich 96 ne, oder 98. Aber weiss ich nich mehr. 98 oder 96.

I.: ähhh ufffff

I.: Wir hattens heute aufgeschrieben.

M.L: 22

I:. Aber ist auf dem Rechner jetzt.

M.L.: und und und viert Jahre, der wird so 25, 26 gewesen sein ne, also Ende der 20 wird er ge ich weiss das jetzt nich genau.

I:. Dann war er so früh im Krieg ne?

M.L.: Wie bitte?

I:Dann war er sehr früh im Krieg, im ersten Weltkrieg.

M.L.: Ja ja, der is im ersten Weltkrieg, sofort eingezogen worden von 1914 an ne.

I.: Aha.

M.L.: Ja, davon hatte der dann Kriech satt ne.

I: Ja.

M.L.: Nie wieder Krieg ne.

I.: Ja

l.: Wie hat sich denn der Krieg äh in den Alltag, also im Alltag bemerkbar gemacht?

M.L.: Ja, der kam ja dann erst später, der Krieg. Wann haben sie mit dem Krieg angefangen, 39 ne. Haben sie da 39, da war mein Vater schon krank, sehr krank.

I.: Aber Sie haben doch bestimmt die, die ganzen…

M.L. : 48, 48 48, 90 49 90 wann is er den gestorben. Verdammt nochmal ich müsste dochn, nnn.

I.: 42 ne? 42 mein ich.

M.L.: 42 is er gestorben? Ne, dass kann nich sein, da muss, da war der Henna ja gerade ers ein Jahr alt. Weiss ich jetz nich.

I.: Gut.

I.: Warte mal kurz, muss da mal…

M.L.: Ich denke, ich hätte noch das Stammbuch gehabt, aber ich weiß einfach…

I.: ich kann das eben nachgucken.

M.L.: Jaaa…

I.: Ne Wir haben dat irgentwo.Also ich habs auch äh…

M.L.: Bitte?

I.: Ich habs auch irgentwo noch im AB.

M.L: JA?

I.: Ja ja ja ja das kriegen wir raus.

M.L.: Hast du auch schonmal ,nachgefragt.

I.: Ge genau, nö nö wir hatten dich ja, wir hatten deinen Vater ja in der Liste.

M.L.: Ja ja , deshalb ja in den Anklageschriften steht ja auch dein glaub ich dein Geburts -

I.: Ja genau.

M.L.: Datum bei. HMM, ja ich weiß jetzt nich also, ich nimm mir dat immer vor n´ bisschen zu sortieren und dann bin ich dann wieder ganz…

I.: 93 geboren und

M.L.: 93?

I.: 43 gestorben.

M.L. : Ja

I.: iwas unverständliches (6.57)

M.L.: Letzte war grade, war grad fünfzich. Ja ja, der war noch keine fünf der wurde erst fünfzich im August hmm.

I.: hmmm.

M.L.: Er war noch keine fünfzich, ja.

I.: Dann war er von 1933 bis emm vom Mai 33 bis September 33 im Konzentrationslager in Köln.

M.L.: Der war äh erst äh in der Kemmner und von der Kemmner aus kam dann nachher 34 35 der Prozess und dann war er in äh Zuchthaus in Münster und von Münster wurde er noch in den vorletzten Jahr oder im letzten Jahr, wo er die Strafe endlich abgesessen hätte, da wurde er dann … von Münster nach, hee wenn ich da jetzt wieder draufkäme, hier ins nach Westfählichen, ich weiß jetzt nich mehr wo, ähm nach Werl, nach Werl, nach Werl wurde er dann verlecht und da is er dann entlassen worden ne. Da is er entlassen worden von Werl her.

I.: Aso, 38 dann?

M.L.: 38 war das, wo er entlassen wurde. Das kann sein ja.

I.: Wie ist denn der Prozess damals abgelaufen?

M.L.: Ja dat wir sind ja zum Prozess jeden Morgen, wie der stattfand im, am nem Gericht und da sind wir jeden morgen, sind wir dahin gegangen. Meine Mutter und ich, war viele Frauen, die mit ihren Kindern da standen. Dann wurden die Gefangenen von den Bendalen, da war das Gefängnis unten am Bendal und äh dann wurden die da über die Straße geführt ins Gerichtsgebäude. Und das war äh so, da hat man den mal nah gesehen . Da sind wir da immer hin äh am frühen Morgen und haben da gestanden und gewartet, bis die dann da über die Straße geführt wurden. Und klar, wenn sie dann ihren Vater und den Frauen ihre Männer gesehen haben, da haben sie gelaufen und haben gewinkt ne. Und ich natürlich auch, ich bin dann sofort darauf zu gelaufen und hab dann ich gesacht: ‚Ahh da ist der Papa!‘ ne. Und und dann kam die SS und die SA, dann haben die uns vertrieben. Und dann haben sie nachher nachn paar Tagen wurd ihnen dass zu viel, weil die Bevölkerung die da wohnte ja dann auch Anteil nahm an diesen ganzen äh Rumfanführen äh. Dann haben das äh geändert und dann wurden die Gefangenen aus dem Zu- aus dem Zuchthaus von Bendal zum Gericht wurden sie dann gefahren ne. Sa kuckn natürlich keiner mehr zugelassen ne. Da haben wa keinen mehr gesehen ne.

I.: Man konnte sich noch nicht mal richtig verabschieden?

M.L.: Nein, nein es war so, sie hatten, man hatte Besuchszeit. Konnte man mal kriegen ne Besuchszeit. Es gab eine Zeit zwischen durch wo sie dann sachten : ‚Nein, also jetzt gibs keinen Besuchsschein.‘ Das hatte auch nen besonderen Grund. Die sind nämlich von dem Bendal aus, meistens zur Vernehmung irgentwo in eine SA oder Kaserne oder so hingebracht worden oder meistens nach Düsseldorf gefahren worden in dieses Hauptquartiert von der SS. Und da wurden die verhört und wurden natürlich dort entsprechend geprügelt.

I.: Ja.

M.L.: Und dann kamen wir wieder zurück. Und ich weiß, dass meine Mutter einmal kam und sacht: ‚Wir haben keine Besuchsserlaubnis bekommen.‘ Ich sach: ‚Ja warum denn nich, ja geben die keine Gründe an?‘ Gründe gaben die nich an ne, kriechte keine Besuchserlaubniss. Das haben sie deshalb, ja das haben wir natürlich später erfahren ne. Das haben sie deshalb gemacht weil sie die nämlich unansehnlich geschlagen hatten ne dann hätte das ja nach draussen getragen werden können ne. Und so haben sie dann erstmal wieder etwas gewartet und wenn die dann wieder etwas normal aussahen, dann äh konnten sie dann mal wieder suchen gehen ne. Ja dann nach der Urteilsverkündigung dann konnt, kamen die ja sofort von hier sofort in die entsprechenden Zuchthäuser . Mein Vater kam nach äh nach Münster . Das war von uns ausgesehen n weiter Wech nach Münster ne . Und äh und ein Genosse vom Vater auch der auch mitverurteilt war eee die Frau hatte son ee ja wie nennt man das? Die hat soon, ja wie nennt man das, so ne kleine, die hat Oberhemden gewaschen und Kragen garbt. damals gabs ja so steife Kragen. Kragen gebügelt, Oberhemden gewaschen& gebügelt. Und und die hatte sonne äh ja so auch äh ja so ne kleine Mangel wo die Kragen dann durchgemangelt wurden. Und meine Mutter hat, der Mann war auch da, meine Mutter hat dann immer der Frau Messe, dass war die Frau, geholfen, äh da die Mangel zu drehen, oder die Sachen da zusammenzupacken ne damit sie ihr Geschäft , dass hatte sie selbstständig beibehalten konnte . Und ich bin für sie einkaufen gegangen. Dann kriechte ich auch 20 Pfennich mal dafür wenn ich einkaufen gegangen bin. Oder was, das hab ich dann alles gespart ne. Und so haben wir uns das Geld zusammengespart und meine Mutter gespart. So haben wir uns das Geld zusammengespart,s das wir dann mal, wenn Besuchszeit war und die war ja in gewissen Abständen, konnte man dann den Vater besuchen. Deshalb ich hät gerne den Brief gefunden, wo er schreibt : ‚Sie haben uns in Zuchthauskleidern gesteckt, aber wir sind keine Verbecher.‘ Hat er in dem Brief geschrieben und der Brief ist auch durchgegangen, sonst wurd ja immer meist alles mit Hand gestrichen ne. Ja und deshalb sind wir dann immer nach Mü- Münster gefahren und haben zu den entsprechenden Zeiten den dann Vater besuchen können ne.

I.: Also hat äh ihre Mutter dann für eu für ihren Unterhalt gesorgt. Für sie und für sich selbst.

M.L.: Ja, für äh ja wir kriechten äh wir krichten 7Mark Wohlfarhstunterstützung hies dat, die Woche. Da müsste alles von bezahlt werden . Da müsste ja Miete und alles von bezahlt werden. Nun hatten wir das Glück, meine Mutter hat in der Zeit, solange der Vater verhaftet, also seine Strafe diese 25 ähm Reichsmark oder 25Mark Kriechsrente bekommen. Und das war immer das Geld für die Miete . Damit wir die Miete bezahlen konnten und das was dann meine Mutter bei der Frau Messe oder wenn sie irgentwo geholfen hat. Sie ging auch schonmal äh in, sie hatte, sie war früher schonmal tätig in der ähm in der Briefstraße gab es dort so Papierfabriken. Und da hat sie dann schonmal ausgeholfen, dann ging sie da auch schonmal Stunden aushelfen und das Geld haben wir dann zusammengespart u- um dann das Fahrgeld zu haben, wenn wir den Vater wollten ne.

I.: Als der Vater noch nich hier also, ins Gefängnis gesteckt wurde, nach Münster geschickt wurde, welchen Beruf hat er denn vorher ausgeübt?

M.L.: Der war Emalör ne, ich weiß nich, ob sie sich was dadrunter vorgestellen können äh ähm es gab früher ja äh Gasherde, Ofen die äh nach äh außen alle so weiß waren, dieses Zeuch was da so weiß ist, das is Emalje sachte man, so ne. Und in dieser Fi- Firma, das gab hier eine große Firma Hohmann Werke, die haben auch diese Öfen hergestellt und da war mein Vater damals beschäfticht. Der is aber schon vor der Nazi Zeit daraus geschmissen worden, weil er Opmann war und in ner Gewerkschaft war, da war das auch schon, n das war auch schon n n´Fehler das n´Arbeiter in ner Gewerkschaft ging ne.

I.: Was is ein Opmann?

M.L.: Ja n´Opmann heiß was wir heute Betriebsrat nennen ne.

I.: Aso , aso.

M.L.: Nich äh da gabs nich mit Betriebsrat, das hieß das dann, das der Opmann ne. Da dann die Leute beraten hat was se machen könnten und so weiter.

I.: Also waren Gewerkschaften generell schlecht angesehen in Unternehmen?

M.L.: Da vorher in den großen Unternehmen waren Gewerkschaften schlecht angesehen.

I.: Ja, ja, ja, ja.

I.: Das hieß dann immer gleich, das war was linkes also was kommunistisches?

m.I: Bitte?

I: Das hieß dann immer gleich das war was kommunistisches, oder ähmm ?

M.L.: Ja ja eigentlich äh äh weniger aber äh Leute, die sich es ist ich mein es ja heute im Grunde genommen nicht viel anders, ne. Leute die sich für ihre Interessen einsetzen, ne un und das Recht auch für sich in Anspruch nehmen, dann die sind nich gut angesehen ne.

I.: Hat sich nichts geändert eigentlich,

M.L.: Ne…

I.: Sogesehen..

M.L.: Da hat sich nich viel geändert ne. Ich mein, obwohl ich kann ihn für mich jetzt alleine gesehen ne, ich bin überall wo ich nach 45 gearbeitet habe auch im Betriebsrat gewesen ne. Ich war 15 Jahre bei der Firma Renus beschäftigt. Renus ist ein Gesellschaft und Schiffer Spedition und Leiberei ne. Da war ich Betriebsratsvorsitzende, da hat keiner wat gesagt ne. Die warn alle froh, wenn die Marianne den Munde auftat ne.

I.: Ihr Vater…

M.L.: Ja.

I.: wurd ja aso verdächtigt hier des Hochverrats, inwiefern war er denn überhaupt politisch aktiv?

M.L.: Ja, äh wir haben ja nach, er hat ja nach fünfun ähh nach dem Kriech 1918, also aus dem Kriech hat gesagt: ‚Nie wieder Kriech!‘ ne, nie wieder Kriech ne. Und ‚Mit Kriech kann man keine Probleme lösen‘, ne. Und dafür hat er sich engagiert, ne. Und hat sich, er ist wie er wiederkam zuerst in der SPD gewesen. Und weil die ja auch gegen den Kriech war. Dann kam aber äh sone schwankende äh Situation auf. Ich weiss nur, dass er dann, weil ich war ja da auch noch ziemlich kindisch, würd ich mal sagen, als Kind, dann ist er in die USPD gegangen ne. Da gabs dann die unabhängige SPD und ja na nachdem hat sich dann die KPD gebildet ne. Und aus der KPD, da is er dann eh als Kommunist, da haben ja, die haben ja bei uns Haus, wir wohnen ja in der dritten Etage, die haben ja bei uns Haussuchungen gehalten und son nen Sender , mein Vater hättn Sender zu den Russen. Bloß wie das funktionieren sollte. Also die hatten doch keinen Verstand, ne. Von von Technik hatten die auch keine Ahnung. Wenn wir auf der dritten Etage wir´n Sender haben könnten, sowas verrücktes ja ja. Ja, das dadurch is er ja dann auch auch äh also dadurch die erste mal verhaftet wurde, das war dann, wurden sie in die Vonderheiydsgasse gebracht unten in elberfelder zu die Polizeistation und von da aus haben sie ja dann nachher die Leute dann alle in die Kemna gebracht. Und ja da da wurden die durch den, durch die Straße geführt, da standen dann son paar ältere Damen. Äh Dame kann man die nich bezeichen aber ich will sie mal als Damen bezeichnen. Die standen dann da am Fenster ‚Ja Ordnung muss sein!‘ Was das nun mit Ordnung zu tun hat, das weiß ich au nich, ne. Ordnung muss sein ja.

I.: Gab es Demonstrationen?

M.L.: Ja und von da aus kamen die ja hier in die Kemna. Mein Vater is ja auch in der Kemna gewesen ne. Er hatte das Glück nur, dass er dann im Dezember äh 33, äh wie das aufgelöst werden sollte, dass er da entlassen wurde, und die die dann noch drin waren die kamen nachn Emsland, da hatten sie inzwischen schon das Emsland als äh Konzentrationslager fertich gemacht ne. Da da, hatte mein Vater hergeholt bekommen haben, kamen sie dann nach Hause ne. Aber er war arbeitslos, ne? Arbeit kriechte er keine ne, während der Nazi Zeit nich ne.

I.: Ja, wie verlief denn das Leben nachdem er wieder draußen war?

M.L.: Ja da kricht er Arbeitslosenunterstützung ne, nn wat soll er machen?

I.: Aber er war politisch aktiv?

M.L.: Er war politisch aktiv, ja. Die haben sich getroffen…

I.: Trotz all der Schikanen?

M.L.: … und da haben sie dann äh Flugblätter gemacht ne. ‚Wer Hitler wählt, wählt den Kriech!‘ Ja, war doch so, stimmte alles ganz genau was die in ihren Flugblättern geschrieben hatten, stimmte auf den, auf den Komma. Alles ne. Ja und da? Ich hab geholfen die Flugblätter wegzubringen, hier oben im Rhein und wenn wa dann irgendwo im Hausflur waren, war niemand dann sach ich: ‚Wir kleben ma schnell hier raus, sonst geh ich eben da die drei Treppen hoch.‘ Dann haben wir dann Otto Limpen da, dat weiß ich noch ganz genau, dann et äh Flugblatt gebracht, der war nämlich auch in der SPD früher ne. Ja nach 45 is er auch in die KPD gegangen ja. Und dann wurd die KPD wieder verboten. Ne seit der Zeit…

I.: War die KPD…

M.L.: Kriegen die nix mehr hin.

I.: Die KPD war noch´n bisschen radikler als die SPD, kann man das sagen oder?

M.L,: Radikaler nich, konsequenter.

I.: Konsequenter.

M.L.: Ich würde sagen konsequent ne, wa wenn ich das, wo ich ändern muss, um das für die arbeitende Mehrheit, denn die arbeitenden Leute sind die Mehrheit, ne. Wenn ich das ändern willl, muss ne, dann muss sie auch richtig ansetzen, an die richtige Ecke gehen. Wat haben wir heute dat selbe doch wieder.

I.: Ja.

M.L.: Wer hat uns denn in die ganze Geschichte hier reingerissen, das hier, money money, das Kapital.

I.: hmm.

M:l.: Ja.

I:: Ihr Vater hat ja viel, also musste ja viel einstecken auch im Zuchthaus ,oder allgemein die Gestapo hat die Menschen ja nich mit Samthandschuhen angefasst…

M.L.:: Ja

I.: … und trotzdem, nach all diesem Schmerz, nach all dieser Schikane, hat der weitergemacht und nicht aufgehört.

 

Transkription Teil 2.

I: Woher nahm er seine Kraft?

M.L.: Weil er… für die arbeitenden Menschen was tun wollte. Und die Leute auch selber ermuntern wollte, dass sie ihre Geschicke in die Hand nehmen. Dass ist heute nicht anders. Wer sich nicht selber irgendwie arrangiert, der wird in der Gesellschaft auf Seite geschmissen ne. Das ist leider so…

Nur dem gebührt die Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss. Das ist nicht von mir, dass war der Heine, der das gesagt hat und da war er schon ziemlich alt. Ich hab solche Erinnerungen, sehen sie, dass ist, wenn man so was erzählt, dann fällt einem plötzlich so irgendetwas ein. Ich war auf der freien Schule und die wurde von den Nazis auch aufgelöst. Die Schule ist 1928 gegründet worden, über die sozialdemokratische Regierung Ebert und ich war in dieser freien Schule, also einer konfessionslose Schule und die wurde dann 1933 geschlossen und dann kam ich in die Windstraße Schule und da hat die Lehrerin immer gesagt, machen sie dass mal mit dem Rechnen – ich konnte so gut rechnen. Das hatte ich in der Schule gelernt und die waren noch nicht so weit mit dem Rechnen. Jetzt mussten wir aber von der Oberstraße wo wir wohnten umziehen. Meine Mutter sagt, die Miete ist zu teuer und wir sind dann umgezogen, wir waren ja alleine meine Mutter und ich, und in die Ewaldstraße unten am Osthausbaum, haben wir eine kleine Wohnung gekriegt auf dem Mansarde, die kostete die hälfte Miete nur. Und dann musste ich aber von da aus auf eine andere Schule. Ich kam, ach da hat die Lehrerin in der Windstraße das so bedauert „Dass ist aber Schade“ hat se gesagt. „Die ist so munter, die kann hier die ganze Klasse mitreißen“. Nun musst ich da raus. Dann kam ich in die Opposterstraße Schule und dann dauerte dass so etwa ein paar Wochen. Da haben sie ein Lied gesungen, „Was soll es bedeuten, dass ich traurig bin“, dass ist von Heinrich Heine. Da kommt dann nachher auch „vom Rhein“ usw.. Und da stand im Lesebuch unten drunter „Dichter unbekannt“. Da hab ich der Lehrerin gesagt, dass stimmt aber nicht, dass ist Heinrich Heine, ich wusste das ganz genau, dass das der Heinrich Heine geschrieben hat. Ich wusste in dem Buch von der freien Schule stand Heinrich Heine. Ja und da hatte sie eine stink Wut auf mich. „Ach halt den Mund“, sagte sie dann. Und diese Lehrerin hab ich 1945 wiedergetroffen und zwar aus einem ganz interessanten Grunde. Ich wohnte im Bornberg ne und dann ware ich in Bornberg über die Partei im Bezirksausschluss. Dort werden Vorschläge an die Stadtverwaltung weiter gegeben. Und dann hatten die in dem Bezirksausschluss besprochen, sie wollten in der Aula von der Helmholzstraße Schule, dass war eine höhere Mädchenschule und da wollten sie eine Aufklärungsveranstaltung über Krebsvorsorge machen. Und ich hatte dann übernommen mit dem Hartz in der Frauenanstalt Vogelsang zu bitten ein Referat zu halten. Sie war die einzigste Frau in dem Ausschuss. Und als die Versammlung dann da begann, dann sagte die „es geht ja in der Hauptsache um Frauen, geh du und eröffne die Versammlung“. Ja gut ich hab mich da hingemacht, habe den Doktor begrüßt und die Leute begrüßt und da irgendsone eine Eröffnung gemacht. Und dann beim abgehen, treff ich meine frühere Lehrerin. Sagt sie, „sind sie nicht die Marianne Löhde“, sag ich, „ja das bin ich“. „Ja wie kommen sie denn dahin?“ Da sag ich, „Fräulein Grothe, mein Vater hat das Ende des Naziregimes nicht erlebt, aber ich. Und ich stehe hier, dass so was nicht noch mal passiert.“ Da kriegte sie son Kopp drehte sich um weg war sie. Alte Zicke, sone alte Nazitante. Ja ja. Wissense dass sind so Erinnerungen, wissense wo sie denken, gut dass sie das gemacht haben, da haben sie ihr wenigstens noch das unter die Weste drücken können. „Dichter unbekannt“ – doof.

 

I: Wodurch zeichnete sich die freie Schule aus, was war das besondere an dieser?

M.L.: Ja wir hatten ersten mal keinen Religionsunterricht. Schade dass ich die Bilder nicht finde. Es gibt ein Buch und zwar eine Doktorarbeit von Dr. Klaus Himmelstein, der hat diese beiden Bilder, einmal von der freien Schule und von der Abgangsklasse aus der Opphoferstr. Evangelische Schule ja. Und diese beiden Bilder zeichnen sich ganz hervorragend aus. Auf dem Bild von der freien Schule, da hängt auf der einen Seite der Schiller, der Goethe und von der Opphoferstr. Schule, da hängt auf der einen Seite der Hitler ne. Dass war der große Unterschied. Deswegen konnt ich dass gar nicht schlucken, dass da steht Dichter unbekannt und man wusste genau, dat war der Heine.

Ja - der Heinrich Heine: „Trauriger Monat November wars, die Tage wurden trüber, der Wind riss von den Bäumen das Laub, da rief es mich nach Deutschland hinüber.“ Den kenn ich schon bald auswendig. „Und als ich an die Grenze kam, da fühlt ich ein heimliches Rinken in meiner Brust, ich glaube sogar meine Augen begannen zu tropfen.“ Hab ich jetzt noch ein sehr schönes Buch gefunden. Heine zu Brecht. Dort macht der Dichter so eine Beschreibung von Heine, wie es möglich auch gewesen wäre, wenn er sich mit Brecht auseinander gesetzt hätte. Das war nicht schlecht zu lesen.

 

I: Zurück zu ihrem Vater. Er wurde entlasse und nach seiner Rückkehr hatte er schwere Leiden zu tragen. An diesem Leider ist er dann gestorben?

 

M.L.: Ja er hatte das Kriegsleiden noch, das hat ihn schwer mitgenommen auch im Zuchthaus. Später noch wo er hier war hat er noch teilweise gearbeitet. Ich hab ja in der Zwischenzeit geheiratet noch im Krieg und da habe ich nicht viel von gehabt. Mein Mann ist ja damals beim Angriff auf die damalige Sowjetunion gefallen und da war mein Sohn gerade 3 Monate alt. Ich war da noch nicht in Wuppertal. Ich bin aber dann sofort nach Wuppertal zurück, denn bei meiner Schwiegermutter wollte ich nicht bleiben. Das erste was mein Vater dann sagte, war „du brauchst eine Wohnung.“ Dann haben wir zwei mein Vater und ich tapeziert, da wo die Tapete abging, brach die ganze Wand aus und er sagte „ich geh holen“, dann hat er da alles verputzt wieder und wir haben alles in Ordnung gebracht. Das hab ich dann da gewohnt. Eines Tages, da wollte er an dem Abend auch nicht zurück. Ich sagte ich Schlaf hier auf der Couch und dann gegen morgen kriegte er keine Luft. Da hab ich von der Frau Messe angerufen – ich selber hatte ja kein Telefon damals – und da hat sie sofort einen Artzt angerufen und der konnte dann nur noch seinen Tod feststellen. Mein Vater hat auch unheimlich an Luftnot gelitten. Durch diese Asthmageschichte… Tja… Da hat er nicht mehr viel von seiner Freiheit gehabt. War schon keine Freiheit mehr. Die mussten sich ja immer wieder melden, ob sie noch zurechnungsfähig sind, was weiß ich…

 

I: Was ist da genau passiert im Zuchthaus? Welche Maßnahmen wurden dort ergriffen?

 

M.L.: Ja er hat über das Zuchthaus nie geklagt. Wenigstens in Münster nicht. Er ist ja noch die letzten Monate in Werl gewesen. Davon hat gar nichts eigentlich erzählt und in Münster eigentlich, sagt der Direktor, da hät er auch da gewohnt und die Mutter und die Tochter des Dirktors sind dann gekommen und haben gesagt „Herr Löhde, könnten sie mal die Toiletten bei uns sauber machen. Und das Badezimmer“. Er war da wahrscheinlich der sauberste, der damit dann umgehen konnte. Ja da hat er auch zu Hause, wenn meine Mutter stundenweise arbeiten ging, den ganzen Haushalt gemacht. Der hat Wäsche gemacht, er hat gebügelt… der konnte alles.

Ich hab auch nie erlebt, dass meine eltern sich gezankt hätten. Wenn meine Mutter knöddelig war, da hat er immer sone, ja da hat er sone, da sagte er bloß immer „Ah Emma, nu reg dich doch nicht auf.“ Der hat dann immer versucht, dass so zu schlichte. Ich mein in jeder Ehe ist mal was, aber ne, das wurde er so ganz gut mit fertig. Da fing meine Mutter immer schon an zu lachen und konnt gar nix mehr sagen.

Sie hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Über 15 Jahre hat sie gelähmt gelegen. War schon schlimm.

 

I: Woran erinnern sie sich am liebsten zurück?

 

M.L.: Ja das ist schwer zu sagen. Am liebsten, wo die Familie noch vollzählig zusammen war und wo man immer so lustig auch irgendwo hinging. Und wenn Wanderungen gemacht waren, waren wir immer dabei und wir Blagen wir liefen ja immer voraus. Ne das war eigentlich immer das schönste Erlebnis. Wanderungen zu machen.

 

I: Woran erinnern sie sich ungern?

 

M.L.: Ungern, wenn ich daran denke, dass ich mit dem fiesen Polizisten in den Keller gehen musste um da zu zeigen, wo Waffen liegen sollten. Das möchte ich nicht noch mal erleben.

 

I: Wie wichtig ist es ihrer Meinung nach das Erinnern? Wie wichtig sollte es uns sein, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät?

 

M.L.: Nein, die darf nicht in Vergessenheit geraten. Wenn in der Woche jedes mal ein oder zweimal kämen und sich dafür interessierten, da würde ich jederzeit bereit sein, dass auch zu wiederholen. So etwas darf nicht noch mal passieren. Aber den größten teil muss die Menschheit selbst dazu beitragen. Kann net vom Himmel fallen.

„Nur dem gebührt die Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Deshalb tu ich dass ja auch ganz gerne, wenn ich weiß, die Leute interessieren sich und gerade jüngere Menschen kommen. Dann bin ich gerne bereit, dass alles auch zu erzählen und auch Fragen in jeder Weise zu beantworten, wie ich dass auch kann.

 

I: War ihr Vater an Straßenkämpfen beteiligt?

 

M.L.: Nein an Straßenkämpfen war mein Vater nicht beteiligt. Er hat immer gesagt, zuerst müssen die das in ihren Köpfen begreifen können. Und dazu muss man beitrage, dass die dass in den Köpfen begreifen. Er war ein ganz einfacher Arbeiter, aber er hat in seinem Leben sehr viel gelesen. Er ging in seiner Freizeit immer in die Bibliothek. Da hatte einer so eine kleine Bude und der hatte da so ein paar Bücher stehen und er ging da immer wieder hin und hat da alles Mögliche gelesen. Nicht nur politisches. Ich weis dass damals der Wilhelm Schmitz auch einige Bücher geschickt hat. Nach 33 hatte er alle zusammen gepackt und da hatte der Otto Lippken unten in seinem Keller stehen. Das war ein SPD Mann, da hatte keiner was gesagt, aber der hatte dann gesagt „Komm pack deine Bücher, die sie dir vielleicht wegnehmen würden, ich steck die in meinen Keller.“ Nur sind die dann nachher durch den Murmelnangriff alle verloren gegangen. Ist ja alles kaputt gegangen in der Oberstraße da.

Ich weiß noch ein Buch, dass hat ich mir letztes mal äh, da hat er schon von gesprochen. Das hab ich mir letztes mal besorgt und zwar Max Höltz. Vom weißen Kreuz zur roten Fahne.

 

I: Bei ihnen und ihrer Familie hat die Naziideologie nicht gefruchtet. Was waren dass denn für Menschen, oder was glauben sie, wie die Psyche des Menschen beschaffen sein muss, dass so etwas funktioniert?

 

M.L.: Ich denke mal sind in der Weise die führenden… Nehmen sie nur mal das Theater von Hitler, wo die ganze Masse gejubelt hat. Wenn die sich richtig für die Literatur, die die da so hatten interessiert hätten, dann wären sie wahrscheinlich dahinter gekommen, dass es ein Kirmesverein war. Aber die meisten Leute sind da mitgelaufen. Nehmen sie doch heute auch mal die Leute von der Straße. Fragen sie da mal irgend jemand ob der überhaupt was geschichtlich gelesen hätten. Die meisten, die was lesen, ja das muss dann was leichtes sein, sagen die meisten… Ich seh mir auch ganz gern nen Krimi an. Ich seh mir nen Krimi lieber an als irgend sonen Trallala da. Die Leute und man soll sie nicht verurteilen. In den Firmen, wo sie beschäftigt sind. Nehmen se nur nen großen Betrieb, da haben die ja gar keine Zeit über irgendwelche Sachen nachzudenken. Da muss Tack Tack muss das gehen und möglichst noch auf Minuten festgelegt und wenn sie dass noch schneller können, dann wird noch was drauf gelegt… Das spielt alles ne Rolle. Das ist kein normales Arbeiten. Das ist Ausbeutung.

 

I: Also würden sie zustimmen, dass Unwissenheit der erste Feind ist?

 

M.L.: Ja sicher dat, Unwissenheit ist der erste Feind. Ich hab nicht umsonst der Lehrerin gesagt, was mein Vater nicht vollenden konnte steh ich jetzt hier, das mach ich. Was damals in der Nazizeit als Naziliteratur, hab ich nicht gelesen. Da hab ich lieber den Heine genommen. „Wer da hat, wird sicherlich noch mehr bekommen. Wer aber wenig hat, dem wird das wenige genommen. Wenn du aber gar nichts hast, dann lass dich nur begraben, ein Recht zum Leben haben nur die, die was haben.“

Tja, dass sind Sprichwörter, aber wenn sie den Sinn erfassen, dann wissen se auch. Oje. Oje oje.

Tja ich hab ja selbst n Sohn, Schwiegertochter und Enkel… Die wissen alle was die Oma macht oder gemacht hat.

Der Karsten mein Enkel, der hat immer wenn er zu Hause nicht zurecht kommt… ich geh nach der Oma. Und dann hatte er so und soviel Frage. Dann hab ich mich ganz ruhig mit ihm dahin gesetzt und dann hab ich ihm alles Mögliche erzählt. Oma wie war das. Und warum und weshalb?

 

I: Das würde die These unterstützen, dass die Aufklärung innerhalb der Familie anfängt.

 

M.L.: Ja natürlich. Hab ich ja selber erlebt. Zu Hause auch. Wenn ich eine Frage hatte und meine Mutter die nicht beantworten konnte, oder sagte, frag den vatta heute Abend. Und der hatte immer versucht mir eine Antwort zugeben. Da hab ich nie gehört, „lass mich damit in Ruh.“ Kenn ich gar nicht. Der hat sich in aller Ruhe mit mir dahin gesetzt und mit mir die Antworten erörtert. Er hat nie zu mir gesagt, lass mich in Ruhe oder so.

Hab ich mit meinem Sohn auch so gemacht.

 

I: Könnte so etwas wieder passieren?

 

M.L.: Ja so etwas könnte wieder passieren. Bei der Gleichgültigkeit der Menschen könnte so was wieder passieren. Traurig wie das ist. Aber man muss dafür sorgen, dass es nicht passiert. Und da kann jeder von uns etwas zu beitragen.

Nationalsozialismus, Blödsinn. Das ist von Sozialismus überhaupt nichts drin. Wenn schon Sozialismus, dann muss die ganze Welt davon betroffen sein. Sonst wird da eh nichts draus. Soziale Verhältnisse, soziales Denken – das fängt im Kopp an.

 

I: Wie haben sie denn die Gleichgültigkeit damals wahrgenommen?

 

Als Kind habe ich das nicht so wahrgenommen, aber wenn man heute irgendwo ist und wenn man da mal so irgend etwas sagt, dann merken sie manchmal „Hach muss t du denn immer wieder da ankommen“. Ja solange sich das nicht ändert und die Menschen sich nicht dafür interessieren, muss man immer wieder darauf gehen. Und dann sagt sie „ja hast ja recht, hast ja recht.“

I: Ja es gibt viele ältere, denen das auch dann zu viel wird.

 

M.L.: Hat denn das Singen für euch später auch noch eine große Rolle gespielt? Ihr ward ja in Gesangsruppen nach 45 oder ist das so ausgestorben. Hat das eine Bedeutung gehabt?

Ne das ist durch den Krieg und so, da ist dass nicht mehr zustande gekommen. Heute gibt es doch keine freien Sänger mehr.

 

I: Was waren das für Lieder?

 

M.L.: Ja, zum großen Teil Arbeiterlieder, aber auch so Wanderlieder. Da gab es doch so einen Dich
ter Uhland. Das haben die immer oft im Krankenhaus gesungen. Ludwig Uhland.

 

 

 

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