Waldniel


Deutschland

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Provinzial Heil-und Pflegeanstalt Waldniel

Die Rheinprovinz, heute der Landschaftsverband Rheinland (LVR), war von 1937 bis 1952 Eigentümerin der Anstalt und führte sie als Zweigstelle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal. In den Kriegsjahren richtete sie in einem Gebäude, dem "Schutzengelhaus" der Franziskaner, zum Zwecke der „Kindereuthanasie“ die "Kinderfachabteilung Waldniel“ ein, in der geistig behinderte Kinder ermordet werden sollten.

Aus der Konkursmasse erwarb die Rheinprovinz im Jahr 1937 Waldniel-Hostert für 600.000 RM. Laut Kaufvertrag betrug die Feuerversicherungssumme 1,75 Millionen RM. Der neue Eigentümer baute in Eschenrath ein Haus für den Verwalter der Ökonomie und an der Waldnieler Heide für das Pflegepersonal, das „aufs Land“ ziehen musste, eine Siedlung mit 12 Einfamilienhäusern. 1938 wurde die Franziskusgrotte, die vor dem "Schutzengelhaus" gelegen war, gesprengt und die Schlacke, so erzählt man, zum Wegebau in der gerade im Aufbau befindlichen Rösler Siedlung benutzt.

http://www.waldniel-hostert.de/gedenkstaette.html

Verlegungen

Aus Waldniel-Hostert, der Zweigstelle von Süchteln-Johannisthal, wurden laut Transportlisten 1044 Patienten in andere Anstalten transportiert, z.B. zunächst nach Galkhausen/Langenfeld, dann zur Vergasung nach Hadamar.

Kinderfachabteilung Waldniel

Durch eine 1939 eingeführte Meldepflicht wurden alle Neugeborenen erfasst, die behindert waren. Diese und auch ältere Kinder wurden ab 1940 in neu eingerichteten Tötungsanstalten, den sogenannten Kinderfachabteilungen (KFA), aufgenommen. Davon gab es im gesamten nationalsozialistischen Herrschaftsgebiet etwa dreißig.

In Waldniel-Hostert wurde zu diesem Zweck das ehemalige „Schutzengelhaus“ der Franziskaner zu einer solchen Einrichtung mit 200 Betten umgebaut. Hier war zunächst Dr. Georg Renno, Arzt aus der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz in Niederösterreich, tätig. Dort hatte er die Patienten "begutachtetet", die anschließend mit Kohlenmonoxyd vergast wurden.

In Waldniel bat er am 23.2.1942 die Leitung in Süchteln, die Pflegerin D. zurückzuversetzen, weil sie passiven Widerstand leisten und das übrige Personal aufhetzen würde. Dr. Renno schrieb: „Auf Grund einer Äußerung ... ist anzunehmen, dass D. über die in der Kinderabteilung durchzuführenden Aufgaben im Bilde ist. Trotzdem und trotz der Tatsache, dass sie seit längerer Zeit Parteigenossin ist, hat sie sich gegen die hier durchzuführenden Maßnahmen in direkt feindseliger Weise geäußert, indem sie im Verlauf des erwähnten Gespräches befriedigt erklärte, dass Herr von Galen (Bischof von Münster, Hirtenbrief 1941) das Volk diesbezüglich aufgeklärt habe.“

Zum 1. Oktober 1942 wurde Hermann Wesse als Arzt angestellt. 1948 gab dieser vor dem Schwurgericht Düsseldorf zu, in den neun Monaten seiner Tätigkeit in Hostert mit Hilfe von zwei Krankenschwestern dreißig behinderte Kinder durch die Gabe des Schlafmittels Luminal getötet zu haben.

Der Arzt erklärte, er habe, wie vom Reichsausschuss in Berlin vorgeschrieben, die einzelnen Kinder untersucht, den Befund niedergelegt und am Schluss eine für den Reichsausschuss verwertbare Diagnose angefügt, z.B.: „Das Kind leidet an angeborenem Schwachsinn (oder an hirnorganischem Leiden mit Schwachsinn) im Grade einer Idiotie.“ Bei Fällen eines Schwachsinns schweren Grades schrieb er: „Das Kind ist nicht bildungsfähig“. Dies war das Todesurteil für das betreffende Kind in der Fachabteilung. Denn aufgrund dieser Beurteilung erteilte dann der Reichsausschuss die Weisung: „Das Kind ist der Therapie zuzuführen und Sie haben uns von dem Ergebnis in Kenntnis zu setzen.“

Die zur Tötung bestimmten Kinder und Jugendlichen bekamen zunächst jeweils drei bis fünf Luminal-Tabletten. Sie schliefen dadurch ein, bekamen unmittelbar nach dem Erwachen jedoch wieder die gleiche Dosis Luminal.Schließlich wurden sie bewusstlos, bekamen Atemnot, begannen zu röcheln und verstarben unter Schleimaustritt aus Mund und Nase, nach drei bis acht Tagen je nach Konstitution.

Elschen z.B. erkrankte als Kleinkind an einer schlimmen Infektion. Danach war sie geistig behindert. Mit acht Jahren kam sie wohnortnah in einem kirchlichen Haus unter und besuchte da die Sonderschule. Von dort wurde das Mädchen in die 80 km entfernte KFA Waldniel-Hostert „verlegt“. Hier wurde es am 9. Januar 1943 kurz vor seinem 12. Geburtstag getötet. Als Todesursache bescheinigte der Arzt Hermann Wesse: erworbenes Hirnleiden, doppelseitige Pneumonie. Der Vater erhielt die Nachricht, seine Tochter sei plötzlich an einer Lungenentzündung gestorben. Empört und fassungslos versuchte er, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es war vergeblich. Elschen wurde nicht auf dem Anstaltsfriedhof, sondern im Heimatort begraben. Mai 2007 wurde ein Stolperstein vor dem Wohnhaus von Elschen in den Bürgersteig eingelassen.

Stolperstein für ein Euthanasie-Opfer, 2007

Anfang Juli 1943 wurde kriegsbedingt die KFA Waldniel-Hostert aufgelöst. Die verbliebenen 183 Kinder wurden in fünf andere „Fachabteilungen“ abtransportiert, z.B. nach Uchtspringe, Brandenburg-Görden und Ansbach. Insgesamt starben während des Bestehens der KFA Waldniel-Hostert hier 97 Kinder, laut Todesbescheinigung an Auszehrung, an Lungenentzündung, an Herz-Kreislaufschwäche....
19 kleine Patienten kamen in die KFA Ueckermünde, heute Mecklenburg-Vorpommern. Von ihnen verstarben innerhalb eines Monats 12. Von den 38 nach Lüneburg transportierten Waldnieler Kindern überlebten 27 nicht das Kriegsende.

Hermann Wesse war in den folgenden Jahren weiterhin als Tötungsarzt tätig, u.a. in der KFA Uchtspringe/Sachsen-Anhalt. Hier wurden laut Gerichtsurteil insgesamt 350 Kinder und Jugendliche getötet.
1947 wurde Wesse wegen Mord im Kalmenhof-Prozess in Idstein/Ts. zum Tode, 1948 in Düsseldorf wegen der Morde in Waldniel-Hostert zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und 1965 wegen Haftunfähigkeit aus der Haft entlassen.

Dr. Georg Renno verließ die Kinderfachabteilung Waldniel Anfang 1942 aufgrund einer offenen Lungentuberkulose. Ein Jahr später war er dann wieder in Hartheim tätig. Erst von 1961 an wurde er vor Gericht gestellt. 1967 ging die Anklage von 25.000 in Hartheim Ermordeten, 20.000 Geisteskranken und 5.000 KZ-Insassen, aus. 1975 wurde das Verfahren wegen der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten endgültig eingestellt. Dr. Georg Renno starb 1997.

Literaturhinweis
"Das Kind ist nicht abrichtfähig." von Andreas Kinast
"Euthanasie" in der Kinderfachabteilung Waldniel 1941-1943
Rheinprovinz Bd. 18
Dezember 2010

ISBN: 978-3-89498-259-1
€ 24,80 (€ 1,62 MwSt.)

Euthanasie, vom griechischen Begriff eu-thanatos abgeleitet bedeutet so viel wie „guter Tod“. Ursprünglich ein Fachbegriff für aktive Sterbehilfe, die dem Todkranken ein schmerzloses, würdevolles Sterben ermöglichen sollte, wurde dieser Begriff von den Nationalsozialisten in schändlicher Weise missbraucht. Unter strengster Geheimhaltung begann 1939 die Erfassung und Begutachtung aller Psychiatriepatienten. Anschließend wurden tausende von geisteskranken Patienten in Vergasungsanstalten getötet. Den Angehörigen schickte man „Trostbriefe“ mit falschen Todesursachen und fadenscheinigen Erklärungen.

Parallel dazu betrieb man die Erfassung und Ausmerzung körperlich und geistig behinderter Kinder. In „Kinderfachabteilungen“ wurden diese Kinder untersucht, begutachtet und getötet. Den Eltern gegenüber behauptete man, den Kindern würde die modernste und bestmögliche medizinische Betreuung zuteil werden. In Wirklichkeit dienten die Kinderfachabteilungen nur der Auslese und der anschließenden Ermordung der, nach Ansicht der Organisatoren, „nicht bildungsfähigen“ bzw., wie der leitende Arzt der Kinderfachabteilung Waldniel sogar formulierte „nicht abrichtfähigen“ Kinder.

In Waldniel, einem kleinen Ort nahe der Stadt Mönchengladbach, wurde im Jahr 1941 eine solche Abteilung eingerichtet. Obwohl sie mit einer Kapazität von ca. 200 Betten zu den großen Einrichtungen dieser Art zählte, wurde sie in den bisherigen Publikationen zum Thema nur wenig behandelt. Grund hierfür ist möglicherweise der Umstand, dass sie bereits nach eineinhalb Jahren, im Sommer 1943, aufgrund der Auswirkungen des alliierten Luftkrieges wieder aufgelöst wurde. In der Zeit ihres Bestehens sind hier insgesamt 99 Kinder gestorben.

Das vorliegende Buch präsentiert erstmals eine umfassende Analyse der noch vorhandenen Unterlagen dieser Abteilung. In akribischer Recherchearbeit förderte der Autor Andreas Kinast eine Fülle weiterer Materialien, wie Prozess-, Personal- und Krankenakten, die mit dem Themenkomplex zusammenhingen, zutage und wertete sie aus. Zudem wurden die letzten noch lebenden Zeitzeugen vom Autor ausfindig gemacht und befragt. Sie steuerten zum Teil einzigartiges Material aus Familienbesitz bei. Entstanden ist eine präzise Dokumentation und eingehende Analyse der furchtbaren Vorgänge in der Kinderfachabteilung Waldniel in den Jahren 1941-43 und der Kinder-„Euthanasie“ in der NS-Zeit.